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Sandsackdeutsche oder: Nur über meine Deiche! Von Wiglaf Droste

Ein Ruck müsse durch Deutschland rucken, verlangte Roman Herzog in seiner Berliner Rede im April 1997. Kaum hatte er geendet, fingen die Deutschen vor Rührung kollektiv das Heulen an: Genau, wir müssen wieder zusammenhalten. Schnüff. Aber gegen wen?

Die erste Folge des deutschen Flennens war die Überschwemmung des Oderbruchs, wo im Sommer 1997 jeder, der es dringend nötig hatte, die Ärmel aufkrempeln konnte. Um eine Verbesserung des maroden Leumunds war es vielen zu tun: Der Bundespostminister beispielsweise kündigte an, eine Sondermarke zugunsten der Überflutungsgeschädigten herauszubringen. Manfred Kanther wollte auch zwei Mark achtzig Kredit geben, sofern sichergestellt war, daß eventuell dort lebende Asylbewerber nichts davon abbekämen. Sabine Christiansen und Max Schautzer moderierten eine TV-Hilfsgala, die ARD und Bild- Zeitung gemeinsam ausgeheckt hatten und bei der auch – ich liebe diesen Namen! – Wolfgang Stumph mit von der Partie war. Spiegel, „Spiegel-TV“ und RTL machten ebenso ein Hilfsfaß auf wie Zeit, Bunte und ZDF, und alle hatten sie ein großes Ziel: Deutsche helfen Deutschen und reden über nichts anderes mehr.

Dem Leiden und der Not seiner Mitmenschen nicht unempfindlich gegenüberzustehen ist gut und richtig, selbst wenn es sich bei ihnen um Landsleute handelt. Zwar habe ich einen Ruf weder zu verlieren noch aufzupolieren, muß mich also auch nicht fremden Menschen als Hilfsengel öffentlich an die Brust schmeißen, aber mein ehrlich empfundenes Mitleid möchte ich doch nicht verhehlen: Es gibt nicht viele Menschen, denen ich wünsche, es möge ihnen derartig mies gehen, daß sie sich ungefragt von Sabine Christiansen und der übrigen Medienkamarilla helfen lassen müssen.

Andererseits aber benahmen sich die Überschwemmten, als ob sie auf das Hochwasser geradezu gewartet hätten: Endlich hatten sie, die mit Füßen getretetenen Ostdeutschen, Anspruch auf Liebe, Kutschi-Kutschi und Vereinnahmung. Endlich waren sie die Brüder und Schwestern, von denen im Westen bis 1989 die Rede gewesen war, für die aber nach dem Fall der Mauer nicht einmal mehr Kerzen ins Fenster gestellt worden waren. Endlich war es wieder so wie früher, wie in der guten alten Zeit der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Aus der großdeutschen Gulaschkanone wurde die trübe Brühe völkischen Gemeinsinns ausgeschenkt, und so waren die Deutschen endlich wieder alle gleich: als Sandsackdeutsche.

Entsprechende Finsterlinge saßen längst mit im Rettungsboot, als es galt, auf dufte zu machen. „Mord – die tun was“, hatte es über die Bundeswehr vorher wenigstens hier und da spöttisch geheißen. Im Oderbruch dann durften die gelernten Totmacher über Wochen den Eindruck erwecken, sie gehörten einer nützlichen und grundguten Institution an und seien nichts als Zivildienstleistende in Uniform.

Für Roman Herzog und die PR- Abteilung der Bundeswehr war der große nationale Katastrophenschutzeinsatz wertvoller als alle teuren Imagekampagnen: Ein Ruck von Arbeitsdienst war durch das Land gegangen. Und wer würde danach noch dagegen protestieren, daß endlich auch wieder weltweit geholfen werden kann?

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