■ Gut so: Deutschland wird wieder normal
: Das „globale Dorf“ und seine Trottel

Was man an ihr hatte, sagt der Volksmund, merkt man oft erst, wenn die Mauer nicht mehr da ist. Zweiundsiebzig Jahre lang besaß der Kapitalismus ein Gegenüber, auf das er starren konnte wie die Schlange auf die Maus. Dann hat sie sie verdrückt, und nun liegt ihr was im Magen. „Jetzt ist sie weg – weg! Und ich bin furchtbar allein, allein.“ So tönt der freie Weltgeist neuerdings aus jenen Feuilletons, für die der Sozialismus vom Teufel war, solange es ihn gab, und die nun Adorno etc. am Band zitieren und bejammern, wie öd und schnöd es draußen sei, seitdem der Kalte Krieg, für den sie an der Schreibfront lagen, in ihrem Sinn entschieden wurde. Keine FAZ vergeht, in der die alternativlos gewordene Warenwelt nicht geistvoll eins aufs Dach bekäme und sich sagen lassen muß, daß man es so auch wieder nicht gemeint habe. Kaum kann der Kapitalismus machen, was sie wollten, werden sie geschmäcklerisch.

Der Zentralbegriff des neuen Meckerns heißt „Globalisierung“. Immer mehr, so die in allen Farben des Erstaunens ausgemalte Schreckensvision, werde die Erde zu einem einzigen, von den Großmultis beherrschten Marktplatzrummel, der die nationalen Ökonomien zu randständigen Folklorebüdchen und die Staaten zu Standorten degradiere, deren vornehmste Aufgabe in der Tat darin besteht, die immergleich bizarren Wünsche ihrer Kunden zu befriedigen: geschenkten Grund und Boden, niedrige Steuersätze und ein braves, billiges Arbeitsvolk, das auf nichts spitzer ist als auf potente Ausbeuter. Diese Vision hat für sich, daß sie stimmt, nur ist sie keine. Nie war der Staat etwas anderes als der „ideelle Gesamtkapitalist“, der die Kapitalbedürfnisse als Gemeinwohl verkauft und sich freilich eine Zeitlang dort ins Zeug schmiß, wo das Konkurrenzsystem gleich nebenan wohnte. Nur darum wurde, während anderswo Diktaturen sich um die Bilanzen kümmerten, die deutsche freie Marktwirtschaft zur „sozialen“. Warum aber soll sie sich jetzt noch schminken? Zum Gefasel von den „knappen Kassen“ passen die seit Jahren steigenden Gewinne deutscher Unternehmer, Aktionäre oder sonstwie Besserlebenden, weil die Steuer wieder das ist, was sie war: der von den Knechten an den Fürsten abzutretende Speck.

Deutschland wird also wieder normal – und repräsentativ dazu. Im UNO-„Bericht zur menschlichen Entwicklung“ ist zu lesen, welchen Segen die global befreite Marktwirtschaft parat hält: Das Vermögen der weltweiten 358 Milliardäre übersteigt das Gesamteinkommen jener Länder, in denen die 45 ärmsten Prozent der Menschheit leben; der Anteil der reichsten 20 Prozent am Welteinkommen stieg in den letzten Jahren auf 85 Prozent, während der Anteil der ärmsten 20 Prozent auf 1,4 Prozent sank. Oder, um mit dem Spiegel zu babbeln: „Die Welt mutiert zum grenzenlosen Shoppingzentrum.“ Sicherlich. Und wie in jedem gibt's auch im globalen Dorf ein paar Milliarden Trottel, die am falschen Platz gezeugt wurden.

Nicht ausgemacht ist übrigens wirklich, ob die aktuellen „Reichtumsinseln“, also lebenswerte Regionen, dies auch bleiben werden oder letztlich doch der Inder, Chinamann und Asiat die Hauer vorne hat. Beklagen dürfte man sich nicht. „Es gibt einen dunklen Weltteil, der Entdecker aussendet“, schrieb Karl Kraus, und bis heute hat sich kaum ein Land von jener Ausplünderung erholt, mit der zuerst Europa, dann Amerika den Grundstein ihres Reichtums legten. Wenn diese dunklen Kontinente also mal für 2,40 Mark täglich Hemden nähen müßten – es wäre eine schöne, geradezu historische Gerechtigkeit. Thomas Gsella