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WM-Titel? Auch nicht schlecht!

Der alte und neue 10.000-Meter-Weltmeister Haile Gebresilasie weiß, was er will: Olympia 2004 soll nach Kapstadt – und nach Stockholm  ■ Aus Athen Peter Unfried

Willie Banks lächelte. „Die haben dem ganz schön Druck gemacht,“ sagte er. Banks, ehemaliger US-amerikanischer Weltrekordler im Dreisprung, arbeitet für die Stockholmer Olympiabewerbung 2004. Und war ganz glücklich, als vor einiger Zeit auch der äthiopische 10.000-Meter-Olympiasieger Haile Gebresilasie dafür gewonnen wurde. Er hat auch noch andere. Aber das Laufidol Afrikas auf dem Ticket, das machte sich gut. Mittlerweile hat Gebresilasie seinen 10.000-Meter- Weltmeistertitel verteidigt – und ist nicht mehr für Stockholm. Besser gesagt: Nicht mehr nur.

„Ich bin für Kapstadt“, sagte er lächelnd in der Pressekonferenz nach seinem Sieg, „denn mein Kontinent hat noch nie Olympische Spiele gesehen.“ Und Stockholm? Gebresilasie lächelte wieder. „Stockholm ist besser. Ich bin für Stockholm.“ Worauf der griechische Moderator sagte: „Und was ist mit Athen?“ Dann setzte er hinzu, das sei nur ein Witz gewesen. Gott sei Dank bevor der Athlet antworten konnte.

Gebresilasie (24), als eines von zehn Kindern in einem Nest in den äthiopischen Bergen geboren, ist ein ungewöhnlich freundlicher, höflicher junger Mann, ja nachgerade „eine Lektion in Bescheidenheit“, wie der Daily Telegraph findet. Wünsche von anderen respektiert er. Es heißt, die Regierung in Addis Abeba habe ihn zum Umdenken angeregt. Auch Nelson Mandela hat ihn dringend gebeten, sich für Kapstadt auszusprechen. Gebresilasie ist in Afrika außergewöhnlich populär, insofern ist das Ganze nicht bloß als Posse zu betrachten. Und er ist sich seiner Verantwortung bewußt.

Andererseits aber ist der Major (1,64m, 53 kg) nicht bloß Afrikaner oder idiot savant, sondern hauptsächlich ein ungewöhnlich langfristig und sorgfältig disponierender Athlet. Wenn der sagt, er wolle 2004 Marathon laufen, meint er das so. Und wenn er sagt, „Stockholm ist besser für den Marathon“, dann deshalb, weil er Skandinavien als ideal für Langstreckenläufer kennengelernt hat.

Keiner weiß genau, wie er es macht, manche Gegner zischeln natürlich auch. Jedenfalls schüttelt er seine Weltrekorde nicht aus der Hose. Er ist in 3.000 Meter Höhe geboren, er hat ein „unglaubliches Potential“, wie sein Manager Jos Hermens sagt. Er rennt nicht jedem Geldbündel hinterher. Er komponiert behutsam die Saison und ihre Höhepunkte. Den Weltrekordlauf von Oslo (26:31,32 Minuten) im Juli hat er lange vorher geplant und eine Woche lang mit den angestellten Helfern eingeübt.

In Athen ist das Laufen im August nicht eben gesund, und deshalb wollte Gebresilasie eigentlich nicht kommen. Das heißt: Daß er nicht komme, will er nicht gesagt haben. „Ich habe gesagt, ich überlege es mir.“ Als er zu Ende überlegt hatte, muß ihm klar gewesen sein, daß er nichts zu gewinnen hat. In Hengelo hatte er im Juni zwar den 2-Meilen-Weltrekord geschafft, aber die Million Dollar verpaßt, die für eine Zeit unter acht Minuten ausgesetzt war. Inzwischen hat es der Kenianer Daniel Komen geschafft. So hätte Zürich nächsten Mittwoch jene „neue Herausforderung“ werden können, die er sucht: Über 5.000 Meter gegen den Spezialisten Komen, der dort eigentlich den Weltrekord (12:44,39) angreifen soll – den Gebresilasie hält.

Er wird laufen, muß aber sehen, wie er den Pflichtsieg (27:24,58) samt Vorlauf verkraften kann. Es war nicht ganz so hart, weil der kenianische Olympiazweite Paul Tergat (27:25,62) und der Marokkaner Salah Hissou (27:28,67) im Gegensatz zu Atlanta gar nicht viel herumprobierten, sondern sich reichlich pragmatisch gleich um Silber und Bronze bemühten. „Es ist schwer, sich etwas auszudenken gegen Haile“, sagte Hissou, „normalerweise rennt der einfach weg.“ 550 Meter vor dem Ziel rannte er weg. Innerhalb von wenigen Sekunden hatte er zehn Meter Vorsprung, und das war das.

„Ich tat es für mein Land“, sagte er, „für meinen Verband.“ Für die glänzt das Gold natürlich, die drängten ihn zum Start auf der harten Mondo-Bahn. Der Weltverband hatte die unter Mißachtung der Langstreckenläufer und in der diesmal fehlgeschlagenen Hoffnung installieren lassen, einen 100- Meter-Weltrekord zu ermöglichen. Die Ausrüsterfirma machte einen guten Promotiongag daraus, indem sie einen „speziellen“ Schuh designen ließ. Den der Läufer letztlich natürlich nicht benutzte. Der Olympiasieg auf gleichem Produkt im heißen Atlanta hatte Gebresilasie jedenfalls Monate der Regeneration gekostet, aber den mußte und wollte er haben. 10.000- Meter-Weltmeister aber war er schon in Stuttgart und Göteborg. Das Ganze sagt etwas über den Kursverfall des Produktes WM seit der ersten Auflage im Zweijahresrhythmus 1993 in Stuttgart. Für Branchen-Protagonisten ist ein weiterer Weltmeistertitel was? „Auch nicht schlecht“, sagt Gebresilasie.

Am Mittwoch war er eben dabei, seine „komplizierte“ Lage zu erklären, als ihn ein Offizieller des äthiopischen Verbandes am Handgelenk nahm und eilig davonführte. Gebresilasie lächelte entschuldigend. Die Unhöflichkeit tat ihm leid. Gestern brachte man ihn zur Pressekonferenz des afrikanischen Verbandes. „Kapstadt liegt in Afrika“, sagte er da, „ich stimme natürlich für Kapstadt.“ Er soll bloß aufpassen, daß er IAAF-Präsident Nebiolo nicht über den Weg läuft. Der sucht Leute, die für Rom sind. Samstag lädt übrigens Stockholm in die schwedische Botschaft von Athen. Wird Haile kommen? Willie Banks hat ja ein Faible für schöne Inszenierungen, schließlich war er der erste große Showman der Dreisprunggrube. „Der wußte gar nicht, auf was er sich da eingelassen hat“, sagt er grinsend, „jetzt weiß er's.“

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