piwik no script img

Ist das System schuld?

Andy Möller registriert erfreut ein 0:1 seiner Dortmunder bei Schalke und weigert sich, die Philosophie seines Trainers zu verstehen  ■ Aus Gelsenkirchen Christoph Biermann

Erbarmungslos brannte die Sonne in die Schüssel des Parkstadions und ließ die Zuschauer leiden. Erbarmungswürdig zerfielen die Kombinationen von Borussia Dortmund zu einer deprimierenden Anhäufung von Fehlpässen, verlorenen Zweikämpfen und Läufen ins Leere. Und als Mitte der zweiten Halbzeit nur noch allübergreifende Ratlosigkeit bei den Borussen war, konnten es deren Anhänger einfach nicht mehr aushalten. Mitten im Revierderby wandten sie sich von ihrer Mannschaft ab, forderten erst „Wir wollen Fußball sehen“ und schließlich sogar „Aufhören!“. Dann fiel kurz vor Schluß auch noch das Tor durch Anderbrügge, das sich Schalke zwar verdient, aber niemand mehr erwartet hatte, und die Frustration in Dortmund war so stark wie schon sehr lange nicht mehr. Und das lag nicht nur an der ersten Niederlage gegen Schalke seit vier Jahren.

Auch wenn man die Sommerhitze als Entschuldigung für ein weitgehend unansehnliches Spiel zwischen den beiden Europapokal-Siegern akzeptiert, war Borussia dem Gegner doch erschreckend deutlich unterlegen. Für die wenigen Torschancen und guten Kombinationen sorgte allein Schalke, Dortmund schoß in der zweiten Halbzeit nicht einmal mehr aufs Tor der Gastgeber. Und selbst das Eckballverhältnis von 8:0 für Schalke illustriert die Spielanteile treffend. „Wir haben sehr schlecht gespielt“, gab Nevio Scala auch bereitwillig zu. Doch der Versuch des Dortmunder Trainers, „kein Drama daraus zu machen“, war schon wenige Minuten später fehlgeschlagen, als Andreas Möller sich zu Wort meldete.

„Ich bin froh, daß Schalke gewonnen hat, ein 0:0 hätte viel übertüncht“, gab Möller zu Protokoll. Er befürchte, daß seine Mannschaft am Ende der Saison „mit leeren Händen dastehen“ könnte. Er sehe, „wie alles den Bach runtergeht“. Und einen Schuldigen für die vermeintliche Misere hatte Möller auch ausgemacht. Nicht seinen Trainer direkt, aber zumindest dessen „Philosophie, wie er das nennt“ und daß „es schwierig ist, mit ihm darüber zu reden“. Solche Attacken gegen einen Trainer hat es in Dortmund seit Jahren nicht mehr gegeben. Nur, Möller lag mit seiner Kritik durchaus falsch.

Die „Philosophie“, die er in Frage stellte, sieht mit Heiko Herrlich in der Offensive nur noch einen Stürmer vor, der variabel vor allem von Möller oder Ricken ergänzt wird. Der Spielgestalter im Mittelfeld, als den Möller sich gerne sehen möchte, heißt nun eindeutig Paulo Souza. Dazu fordert Scala von seinen Spielern häufigere Positionswechsel und ein stärkeres Pressing als in der Vergangenheit. Kurzum: Der italienische Trainer müht sich um jene Modernisierung des Dortmunder Spiels, die dringend notwendig war. Denn Möllers Erinnerung an „die tollen Spiele, die wir in der Vergangenheit gezeigt haben“ trügt. In den letzten beiden Jahren hat der BVB zwar höchst erfolgreich, doch äußerst selten „toll“ gespielt. Scalas Entschluß für den entwicklungsfähigen Herrlich und gegen den nur noch sporadisch überzeugenden Riedle, der zum FC Liverpool wechseln durfte, war genauso richtig wie die Plazierung von Chapuisat auf der Ersatzbank, weil dieser nur noch momenthaft alte Qualitäten zeigt.

„Heute hat es nicht am System gelegen, uns hat die Frische gefehlt“, meinte Jürgen Kohler, dessen Fehler kurz vor Schluß die Niederlage einleitete. Der Portugiese Souza, dessen Einsatz erst kurz vor Anpfiff feststand, konnte die Rolle als Paßgeber während des ganzen Spiels nicht ausfüllen. Reuter und Heinrich setzten sich auf den Außenbahnen sowenig durch, wie Ricken und eben Möller in der Lage waren, den in der Spitze vereinsamten Herrlich zu unterstützen. Die schwächste Leistung der Borussia seit sehr langer Zeit hatte weniger mit Systemumstellungen zu tun, sondern mit der Unfähigkeit, sich in den Zweikämpfen durchzusetzen. „Unsere Spieler sind Wege gegangen, die bei dieser Hitze weh tun“, sagte Schalke-Manager Assauer. Die Dortmunder konnten das für sich nicht in Anspruch nehmen. Sollte der Grund dafür allerdings sein, daß sich Teile der Mannschaft gegenüber Scalas Heranführung der Borussia an die Fußball-Moderne bockig zeigen, dürfte der Stoff für Schlagzeilen demnächst aus Dortmund und nicht wie gewohnt aus München geliefert werden.

Borussia Dortmund: Klos – Feiersinger

Zuschauer: 68.200

Tor: 1:0 Anderbrügge (86.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen