Klinken putzen für mehr Lehrstellen

■ Senioren-Spürnasen ziehen Bilanz: Viele Ausbildungsplätze aufgetan / Handelskammer startet Last-Minute-Lehrstellen-Börse

Richard Moritz ist als Spürnase der Bremer Handelskammer für Ausbildungsplätze ein Trendsetter – gerade weil er einst Ausbildungsleiter auf der Vegesacker Vulkan-Werft war. „Ich hatte meinen guten Namen schon vor der Krise weg“, sagt der Pensionär heute selbstbewußt – und deutet damit an, worauf es der Handelskammer bei der Wahl ihrer „Senior-Berater“ankam. Alle drei Spürnasen, die seit dem Frühjahr für SchulabgängerInnen Lehrstellen auftun, sind „gestandene Ausbilder“im Ruhestand.

Der Altmeister Moritz, mit Schwerpunkt Industrie und Metall, tat rund 20 Lehrstellen in Bremen-Nord auf, die es ohne seine Intervention in den Betrieben wohl nicht gegeben hätte. Die Bilanz von zwei Senioren-Kollegen, die in den Bereichen Hotel und Kommunikation ihr Amt etwas später antraten, liegt etwas darunter. Trotzdem ist Handelskammer-Geschäftsführer Uwe Nullmeyer mit der bisherigen Bilanz „sehr zufrieden“. Jetzt steuern er und Handelskammer-Weiterbildner Jens Jensen auf eine „Last-Minute-Aktion“zu: Lehrstellen, die zu Beginn des Ausbildungsjahres im August umständehalber frei wurden, sollen noch zum September wiederbesetzt werden. Entsprechende Aufrufe an Firmen sind bereits verschickt.

Dabei betrachtete der Ruheständler Moritz die Senioren-Aktivitäten anfangs skeptisch. Als ihn die Anfrage aus der Handelskammer erreichte, ob er in deren Auftrag und ehrenamtlich aus potentiellen Ausbildungsplätzen echte Lehrstellen machen würde, bat er sich Bedenkzeit aus. Nicht nur, weil er auch als Aufsichtsratsvorsitzender einer Volksbank und als Vorstandsmitglied des Bremer Zweigs der Ingenieursvereinigung VDI weitgehend ausgebucht war. Sondern auch, weil er „noch nie Klinken geputzt“hatte. Daß ihm das binnen Wochenfrist sogar „Spaß“brachte, überraschte ihn – ebenso wie der Erfolg: Schon in der ersten Woche verbuchte Moritz zehn Quasi-Zusagen; alle von Arbeitgebern, die eigentlich keine Lehrstelle eingeplant hatten. „Aber ich kenne natürlich die Gegebenheiten vieler Firmen im Norden und weiß, wo noch etwas möglich wäre“, sagt Moritz, der die persönliche Ansprache für das Wichtigste hält. „Wir haben in den besten Zeiten 400 Azubis in 18 Berufen auf der Werft ausgebildet.“

Heute sind für Moritz „die etwas anderen Ansichten der jüngeren Geschäftsführer“die härtesten Nüsse. „Die Jüngeren kalkulieren meist sehr scharf, daß ein Ausbildungsplatz 60.000 Mark im Jahr kostet“, sagt er. Früher habe man manche Entscheidung im Ausbildungssektor aus einer „mehr väterlichen Sicht“getroffen, beschreibt der Lehrstellenjäger die größten Widerstände, mit denen er auf Unternehmerseite zu kämpfen hat. Die Jugendlichen sind für ihn dagegen ein eigenes Kapitel: „Der Hauptschulabschluß ist nicht mehr, was er früher war“, sagt er. „Vielen Jugendlichen fehlen Schlüsselqualifikationen, wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.“

Die Zukunft von Ausbildungsplatzjägern wie Moritz und zwei weiteren Senior-Kollegen ist gesichert, sagt Handelskammer-Geschäftsführer Nullmeyer. Vor allem für die Spürnase im Bereich der Informations- und Telekommunikationsberufe (I&T), einem ehemaligen Siemens-Ausbilder, geht die Arbeit jetzt erst richtig los: Viele Ausbildungsordnungen für diese zukunftsträchtige Branche gelten erst seit Mitte Juli. Gerade weil in diesem Bereich aber viele junge Unternehmen starten, die oft noch keine Ausbildungserfahrung haben, liegt noch viel unbeackertes Terrain vor den Spürnasen. „In der Information und Telekommunikation liegt die Zukunft Bremens“, sagt Nullmeyer.

Auch in Hamburg wollen die rund 20 Lehrstellen-Aufspürer in diesem Bereich jetzt durchstarten, kündigt Handelskammersprecher Thomas Schierbecker an. Dort hat man bereits zwei Jahre Erfahrung mit den Spürnasen, nach Koblenzer Vorbild auch „Lehrstellenlotsen“genannt. Vor allem kleinere Betriebe seien nach direkter Ansprache oft zur Ausbildung bereit. ede