: Noch immer im Schatten der Mauer
■ Eine Diskussion um die Ursachen und Folgen des Mauerbaus vor 36 Jahren
„Die DDR hat die Rechnung ohne die Westalliierten gemacht, dieser Rechenfehler wurde 1989 wiederholt.“ In dieses Bild der Mauer als Symbol für die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen beider deutscher Staaten bannte Renate Künast am Dienstag abend den Mauerbau und den Mauerfall gleichermaßen. Auf der Podiumsdiskussion im Preußischen Landtag diskutierte die bündnisgrüne justizpolitische Sprecherin vor allem mit Ostdeutschen über den „Schatten der Mauer“. Zum heutigen Jahrestag des Mauerbaus ging es vor allem um zwei Fragen: Wie kam es zum Mauerbau, und haben sich in Folge seitdem zwei verschiedene Kulturen entwickelt?
Gastgeberin Renate Künast postulierte – sehr zum Mißfallen der meisten Gäste –, daß die DDR und die Ostdeutschen stets in einer Zwangsposition gefangen gewesen seien: Weder die SED habe eine realistische Chance gegen die unterstützte Westrepublik gehabt, noch sei es zum Beispiel dem Neuen Forum 1989 möglich gewesen, einen anderen Weg als den in die Wiedervereinigung durchzusetzen. Künast stellte den Mauerbau deshalb als Zwangsläufigkeit innerhalb des Gesellschaftsverständnis der DDR-Führung dar.
Aus genau dieser Verbindung – dem Gesellschaftsbild und der Trennung der Bevölkerung in beiden Staaten – seien zwei unterschiedliche Kulturen entstanden. Nicht die Mauer in den Köpfen trenne heute Ossis und Wessis, sondern die kulturellen Differenzen, sagte sie. Widerspruch gegen die Einschätzung der westdeutschen Künast regte sich unter den ostdeutschen BesucherInnen: Die wiederholte Erfahrung der Unterlegenheit lasse die Mauer im Kopf wiederauferstehen, so ein Mann aus dem Publikum. Mit kulturellen Differenzen habe das nichts zu tun.
Auch Klaus Schröder, Leiter des SED-Forschungsverbundes an der Freien Universität, hielt gegen Renate Künast: Die Mauer sei ein Symbol für die soziale Trennung, nicht für eine kulturelle Spaltung. Es müsse noch grundlegendere Traditionen geben. Die Mauer, die für die einen das Ende der DDR markierte, symbolisierte jedoch auch, darauf wies gestern der Bündnisgrüne Jürgen Karwelat hin, einen neuen Anfang: Die ungewisse Situation in der DDR habe damit zunächst beendet werden und eine neue Sicherheit sich entwickeln können. Und obwohl die Mauer bis auf wenige Teilstücke längst abgerissen ist, steht sie deshalb heute – das hat die Diskussion gezeigt – stellvertretend für die Kritik an beiden deutschen Staaten. Barbara Junge
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