: Im Zweifelsfall zur Bundeswehr
■ In Wandsbek sollen die Beisitzer der Kriegsdienstverweigerungs-Ausschüsse schon zum vierten Mal rechtswidrig gewählt werden Von Silke Mertins
Was schon drei Mal geklappt hat, kann auch ein viertes Mal nicht ganz falsch sein, dachte man sich offenbar in Wandsbek: Bezirksamtsleiter Klaus Meister (SPD) fordert in einem Brief vom 27. April die Fraktionen der Bezirksversammlung auf, nach Parteienproporz Vorschläge für die Wahl der BeisitzerInnen der Kriegsdienstverweigerungsausschüsse und -kammern zu machen.
Dieses Vorgehen ist aber schon seit 11 Jahren nicht mehr rechtens. Seit das „Kriegsdienstverweigerungsneuordnungsgesetz“ 1984 in Kraft trat, sollte eigentlich fachkundige Qualifikation das Parteiengeklüngel um die BeisitzerInnen ersetzen. Denn: das Vorschlagsrecht für die alle vier Jahre zu wählenden BeisitzerInnen hat nicht mehr die Bezirksversammlung, sondern der Jugendhilfeausschuß (JHA). „Hier hat sich etwas eingeschlichen“, so Horst Görner, GAL-Mitglied und Kriegsdienstverweigerungs-Beauftragter des Kirchenkreises Stormarn, „das das Gesetz auf den Kopf stellt.“
Als Begründung für die eigenwillige Rechtsauslegung schiebt das Bezirksamt Terminvorgaben vor. Bis zum Juni müßten die KandidatInnen benannt sein, deshalb bliebe jetzt dem Jugendhilfeausschuß leider keine Zeit mehr für eigene Vorschläge. Rückfragen beim zuständigen Kieler Kreiswehrersatzamt ergaben aber, daß man dort erst am 31. Oktober die Entscheidungen braucht.
Irritiert über den fälschlich heraufbeschworenen Termindruck ist nun auch der Jugendhilfeausschuß. „Wir werdem dem nachgehen“, erklärte der JHA-Vorsitzende Manfred Albers gestern gegenüber der taz. „Wenn das so ist, wird es am 7. Juni keine Wahl geben.“
Eine stärkere Anbindung an fachliche Qualifikation tut dringend Not: „Die Beisitzer plumpsen da in den Ausschuß rein“, weiß Kriegsdienstverweigerer-Helfer Görner, „und viele haben in erschreckender Weise keine Ahnung von der neuesten Rechtsprechung.“ So werde in den Kammern und Ausschüssen immer noch gefragt, ob der Antragsteller seine Freundin im dunklen Wald vor einem Vergewaltiger verteidigen würde. Dabei hat die deutsche Rechtsprechung längst entschieden, daß es „nicht angesonnen werden darf, auf das Recht zur Notwehr oder Nothilfe zu verzichten“, zitiert Görner ein BVG-Urteil vom 23.11.88. Mit einer solchen Frage nötige man die „Aufgabe der sittlichen Persönlichkeit“.
Betroffen von der veralteten Auslegung des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung sind immerhin 20 Prozent der Wehrdienstunwilligen. Alle, die nicht unmittelbar nach der Musterung einen Antrag stellen, müssen vor die Kriegsdienstverweigerungsausschüsse oder -kammern vor Ort. Und während das Bundesamt für Zivildienst nur 0,1 Prozent der Anträge ablehnt, sind es in den Ausschüssen 20 Prozent. „Die Verfahren vor den Ausschüssen und Kammern sind reine Glücks- und Glaubenssache“, so Görner. Und im Zweifelsfall heißt das eben Bundeswehr.
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