: Kautschuk und Kaffeebohnen
■ Eine Ausstellung über Arbeit in der Speicherstadt kann dank privater Initiative nach sechs Jahren wiedereröffnet werden Von Till Briegleb
Es gibt wenige Orte in Hamburgs Zentrum, die noch den Geruch von Geschichte vermitteln. Und auch vor Hamburgs Speicherstadt, die noch heute betörenden Duft im buchstäblichen Sinne verströmt, hätte das historische Banausentum des Hamburger Senats vor einigen Jahren ja nicht halt gemacht, wenn nicht massive Bürgerproteste die Zerstörung der Tradition verhindert hätten. Was durch den Abriß oder die Umnutzung der 1885-1912 errichteten Freihafen-Speicher verloren gegangen wäre, konnte man bereits 1988 zum hundertsten Geburtstag des Ensembles in einer Ausstellung des in Gründung befindlichen Museums der Arbeit sehen. Ab sofort ist diese Ausstellung – dank privater Initiative – in verkleinerter Form wieder zugänglich.
Auf einem ehemaligen Speicherboden der Firma Eichholtz und Consorten am St. Annenufer läßt sich die noch immer recht urtümliche Welt der Quartiersleute sinnlich erleben. Kautschuk und Kaffeebohnen im Rohzustand, Warnschilder und Warenproben, Werkzeuge und Winden vermitteln schlicht aber eindrücklich die Arbeitswelt der heute Schiffsgüterkontrolleure genannten Hafenarbeiter. Dabei platzt der heimelig niedrige und dunkle Boden angesichts der zu vermittelnden Themenfülle aus allen Nähten, so daß viele Aspekte nur angerissen werden können. Dennoch bleibt die Ausstellung nicht oberflächlich, sondern wirkt im Resultat eher komplex und weckt Neugierde auf mehr Information, die vor Ort mündlich und schriftlich zu erhalten ist.
So behandelt ein Quarree die Lebensbedingungen von Plantagenarbeitern, deren erbärmliche Bezahlung die europäischen Billigpreise für Kakao, Kaffee oder Zucker überhaupt erst möglich macht. Eine Wand mit historischen Fotos beleuchtet die Zeit vor dem Bau der Speicherstadt, als ein kompletter, intakter Stadtteil mit über tausend Barock- und Fachwerkhäusern – das südliche Katharinenkirchspiel – diesem Monument geopfert wurde und knapp 20.000 Menschen ihre gewohnte Umgebung verlassen mußten. Und in einer anderen Ecke wird die Prozedur des Teekostens, mit der noch heute die Qualität der Einfuhren geprüft wird, dargestellt.
So ungewöhnlich wie die Ausstellung ist auch die Konstruktion ihres Zustandekommens. Weil das Museum der Arbeit die Betreuung nicht bezahlen kann, hat ein ehemaliger Volontär des Museums die Schau auf eigenes Risiko wiedereröffnet. Die Exponate umsonst vom Museum und den Boden mietfrei von Eichholtz und Co. , muß Henning Rademacher den Unterhalt durch Eintritt finanzieren. Eine sehr zeittypische, wiewohl sehr fragwürdige Privatisierung staatlicher Aufgaben.
Geöffnet von Dienstag bis Sonntag, 10-18 Uhr, St. Annenufer 2
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