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Jedesmal eine Entdeckungsreise

■ Kein künstliches Licht, keine gestellten Szenen: 30 Jahre lang hat Klaus Wildenhahn konsequente Dokumentarfilme gedreht / Jetzt hat er die Pensionsgrenze erreicht und verabschiedet sich mit zwei Filmen über eine Stadt: Mostar

Café Lindtner in Hamburg-Eppendorf. Klaus Wildenhahn sagt mit mildem Spott in der Stimme: „So was zum Beispiel hätte ich ganz bestimmt nicht getan.“ Dabei hatte der Journalist doch nur den Fotografen gebeten, Klaus Wildenhahn nicht nur in Großaufnahme, sondern auch von etwas weiter weg aufzunehmen, um so der wunderschön altmodischen Atmosphäre des Cafés Raum geben zu können.

Wildenhahn selbst hatte den Treffpunkt vorgeschlagen (allerdings hatte er am Telefon schnell angefügt, er kenne auch ein billiges Eiscafé in der Nähe; ihm war wohl das Gehaltsgefälle zwischen einem NDR- und einem taz-Angestellten eingefallen). Plüsch, zuvorkommende Bedienung, gemischtes Publikum – einem Flaneur ist die Atmosphäre durchaus angemessen. Und so wie ein Flaneur wirkt in dieser Umgebung Klaus Wildenhahn. Irgendwann sagt Wildenhahn dann auch, es gebe in Hamburg viel zuwenig solcher Orte.

Der kurze Austausch zwischen dem Journalisten und dem Fotografen aber wäre Wildenhahn zuviel des Eingriffs gewesen. Er setzt in seinen Arbeiten voll und ganz auf die Spontaneität der Szene. Er inszeniert nichts. Wenn er filmt, sitzt er selbst nur dabei, hält ein Mikrofon in der Hand und zeichnet den Ton auf. Und sein jeweiliger Kameramann muß eben alles von der Position, die er gerade eingenommen hat, aus filmen. Nicht, daß Wildenhahn versuchte, bei den Szenen Mäuschen zu spielen, sich unsichtbar zu machen. Er geht schon davon aus, mit dem Kameramann präsent da zu sein während einer Szene – anders ist es ja auch kaum machbar –, aber eingreifen will er eben sowenig wie möglich. Und da ist Wildenhahn sehr konsequent. Kein künstliches Licht, keine gestellten Frage-und-Antwort-Spiele, keine Nachdrehs, wenn etwas nicht geklappt hat oder der Kamera etwas Interessantes entwischt ist.

„Das Wichtigste an meiner Methode ist die Improvisation, das Spontane, daß nichts abgefragt wird, daß ein unsicheres Konzept existiert“, sagt Wildenhahn. Und: „Man wird zum Entdecker. Es ist eine Art von Expedition. Man macht eine Entdeckungsreise jedesmal.“ Wie zur Bestätigung, daß es viel zu entdecken gibt, gerade auch in alltäglichen Kontexten, betreten darauf drei Cinti oder Roma das Café. Und während sie eine traditionelle Weise anstimmen, macht Wildenhahn, nachdem er eine Weile zugesehen hat, den Journalisten darauf aufmerksam, daß der eine von ihnen eine Uniformjacke der Deutschen Bundesbahn trägt. Eine kleine Verschiebung, die nicht vielen auffallen würde. Klaus Wildenhahn fällt sie auf.

Ottensen

Wechsel des Interieurs. Statt auf Plüsch sitzt man auf nacktem Holz. Statt Cappuccino mit unendlich viel Sahne gibt es Bier aus der Flasche. Nur die Buntheit des Publikums ist geblieben (wenngleich es jetzt im Durchschnitt mehr zur Lederjacke hin tendiert), das sich zwei Tage später im Ottenser Lichtmeß-Kino einfindet. Klaus Wildenhahn stellt dort Freunden und Interessierten Reise nach Mostar, seinen letzten Film als festangestellter Mitarbeiter des NDR, vor.

Wieder ist der Ort nicht zufällig, wieder ist er von Klaus Wildenhahn bewußt gewählt. „Ich finde die Lichtmeß-Leute sehr sympathisch“, hatte er zuvor im Café gesagt und zur Begründung von einem Dokumentarfilm namens My Living Room Theatre erzählt. Der zeige, wie sich Leute in England in ihren Wohnzimmern gegenseitig Theater vorspielen. Das, habe er sich immer gedacht, müsse er auch mal übertragen auf den Dokumentarfilm machen, es unterlaufe die kommerziellen Strukturen. Und obwohl das Lichtmeß strenggenommen auch schon eine Stufe zu hoch sei, komme es dieser Idee doch am nächsten: daß sich Menschen gegenseitig einfach Filme zeigen, nur um etwas voneinander zu erfahren. Schon beim Erzählen muß Wildenhahn lächeln.

Über 30 Jahre lang hat Klaus Wildenhahn Dokumentarfilme gedreht. Seine Anfänge liegen beim Kleinen Fernsehspiel und der Panorama-Redaktion des NDR. Ende der 60er war er für vier Jahre Dozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin, damals einer Keimzelle der Studentenunruhen. Regelmäßig hat Wildenhahn einen der zwei jährlichen Sendeplätze des NDR für einen Dokumentarfilm in Spielfilmlänge mit eigenen Produktionen gefüllt. Den zweiten Sendeplatz hat er in den vergangenen Jahren verwaltet. Jetzt hat Klaus Wildenhahn, 65jährig, die Pensionsgrenze erreicht, Ende Juni wird er seinen letzten Arbeitstag als Festangestellter haben, der Nachfolger steht bereit.

Als letztes Projekt hat sich Klaus Wildenhahn noch einmal in ein gar nicht so kleines Abenteuer gestürzt: Zusammen mit dem Kameramann Frank Groth begleitete er den einstigen Bürgermeister von Bremen Hans Koschnick auf dessen Mission als Chefadministrator der von der Europäischen Union verwalteten Stadt Mostar.

Mostar

Klaus Wildenhahn hat schon in New York gedreht. Das war 1968, als er unmittelbar nach der Ermordung von Martin Luther King die schwarze Schauspieltruppe Harlem Theater porträtierte. Auch schon in England, Frankreich und Belgien hat er gedreht. Meistens aber hielt er sich in Deutschland auf, viel im Ruhrgebiet, wo er 1979 einen Gedichte schreibenden Zechenschlosser und 1982 Pina Bausch beobachtet hat, viel auch in der näheren und weiteren Umgebung Hamburgs. Und natürlich hat Klaus Wildenhahn auch mehrere Filme über St. Pauli gemacht, wo er mehrere Jahre lang wohnte. Einen Film über eine vom Krieg zerstörte Stadt in einem weiterhin vom Krieg bedrohten Gebiet hat Klaus Wildenhahn aber noch nie gedreht.

Als letztes Projekt also Mostar. Dreieinhalb Wochen lang waren Klaus Wildenhahn und Frank Groth im vergangenen Sommer in der arg mitgenommenen Vielvölkerstadt am Fluß Neretwa. Sie haben Hans Koschnick in seinem Büro gefilmt, bei seinen Terminen, abends beim entspannten Trinken in dem zur EU-Kantine umfunktionierten Hotelrestaurant und während der Pressekonferenz nach dem Attentat. Koschnicks Mitarbeiter haben sie während ihrer alltäglichen Arbeit begleitet. Mit jungen muslimischen Polizisten haben sie ausgiebig gesprochen und mit einem kroatischen Wasserbauinge-nieur. Sie haben zugesehen, wie britische und spanische Pioniere eine stabile militärische Behelfsbrücke über den Fluß schlugen.

Und aus dem so produzierten Material hat Klaus Wildenhahn – zwei Filme gemacht, bezeichnend für sein Interesse an der dokumentarischen Form, das den subjektiven Blick des dokumentierenden Auges nicht außer acht läßt, sondern geradezu in den Ansatz miteinbezieht. Der eine, Die dritte Brücke, versucht, das Material selbst sprechen zu lassen. Wildenhahn bezeichnet ihn im Gespräch als den „kälteren“ Film der beiden. Der zweite, Reise nach Mostar, folgt einer episodischen Dramaturgie, pickt sich einzelne, kleine Begebenheiten aus dem großen unübersichtlichen Geschehen heraus und läßt sie unverbunden nebeneinander stehen. Ein bewußt subjektiver Kommentar hält sie zusammen, den Wildenhahn in einer Stimme über die Bilder gelegt hat, der man nun wirklich nicht anhört, daß ihr Besitzer demnächst pensioniert wird. Den zweiten bezeichnet Wildenhahn als den „persönlicheren“ Film, die Episoden seien wie Kalenderblätter zu verstehen.

Beide Filme sind nichts für Leute, die gerne eindeutige Ansichten vertreten. Wildenhahn hält den Blick so genau auf die Dinge, die Gesichter, daß alle Eindeutigkeiten verschwimmen. Bei ihm, so gewinnt man den Eindruck, wird Genauigkeit fast schon zur ethischen Kategorie.

Zurück nach Eppendorf

Hinaus aus dem Kriegsgebiet, zurück in das ruhige Hamburger Café. Die Cinti- oder Roma-Kapelle hat längst das Kleingeld eingesammelt. Zwei Dinge haben wir uns noch vorgenommen zu fragen.

„Herr Wildenhahn, ihre improvisierte Arbeitsweise birgt immer die Möglichkeit des Scheiterns. Hatten Sie bei einem Ihrer Filme das Gefühl, gescheitert zu sein?“ – „Nein, das habe ich nicht. Aber Sie haben recht, jeder Film birgt eine ganz neue Herausforderung, und es kann jedesmal sein, daß man an dem Material scheitert, daß man keine Linien hineinkriegt. Aber dieses Gefühl habe ich, ohne jetzt vermessen klingen zu wollen, nie gehabt.“

„Und wie geht es bei Ihnen jetzt nach der Pensionierung weiter? Sie werden doch sicherlich noch Filme machen.“ – „Das weiß ich nicht, mal sehen. Ich denke, es für mich erst einmal interessant zu schauen, was passiert, wenn ich keine Filme mehr mache. Ich kann mich ja kaum noch daran erinnern, wie das war, keine Filme machen. 30 Jahre lang jedes Jahr ein Film, das ist ja auch eine große Anstrengung. Aber das muß ich noch sagen: Ich hatte ganz großes Glück, daß ich sie machen konnte.“

Bei der zweiten Antwort hätte man Wildenhahns Stimme hören müssen. Ein Satz von John Cage fällt uns ein: „I welcome whatever happens next.“ Über Cage hat Wildenhahn schon 1966 einen Film gemacht. Von ihm, sagt Wildenhahn, habe er viel gelernt.

Dirk Knipphals

Morgen, 28. Mai, läuft „Die dritte Brücke“ um 23.45 Uhr in der ARD, „Reise nach Mostar“ am 7. Juni um 23 Uhr auf N 3.

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