: Die seltsamen Therapien des Doktor R.
■ Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Bremer Arzt wegen Körperverletzung / Er soll Methadon-Substituierten Medikamente nach Gutdünken verschrieben haben
Die Villa aus rotem Backstein im Nobelviertel Bremen-Schwachhausen galt bis vor kurzem auch für Junkies als erste Adresse. Sie waren gern gesehene Gäste, und Doktor R. zückte schnell den Rezeptblock. Rohypnol und Valium verschrieb der Arzt den Heroinabhängigen in rauhen Mengen, und zwar obwohl sie bei seinen KollegInnen bereits mit Methadon versorgt wurden und keine anderen Medikamente nehmen durften. „Der hat nicht lange gefragt, bei dem hat man alles gekriegt, was man haben wollte“, behauptet ein ehemaliger Patient.
Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung gegen den Arzt. Die Gesundheitsbehörde hat sich eingeschaltet und dem Doktor nahegelegt, keine Junkies mehr zu behandeln. Doch, so weiß ein Kripobeamter: „Der ist kein Einzelfall. Es gibt einige Ärzte, die einfach alles aufschreiben, was die Junkies haben wollen, nur um daran zu verdienen.“
Etwa 1.000 Heroinabhängige, die mit Methadon substituiert werden, gibt es zur Zeit in Bremen. Sie werden mit dem Ersatzstoff solange runterdosiert, bis sie „clean“und von der Sucht befreit sind. Wenn sie neben dem Methadon starke Schlaf- oder Beruhigungsmittel wie Rohypnol und Valium schlucken, ist die Therapie allerdings hinfällig.
Rund zwei Millionen Mark gibt das Land Bremen jährlich dafür aus, Junkies von ihrer Sucht zu befreien. Den Löwenanteil zahlen allerdings die Krankenkassen. 300 bis 400 Mark kostet die Behandlung eines Methadon-Substituierten im Monat. Etwa 60 Ärzte versorgen die Heroinabhängigen in Bremen mit dem Ersatzstoff. Sieben Mark pro Tag bekommen sie dafür. „Es ist unglaublich“, beschwert sich einer von ihnen. „Da bemüht man sich, die Leute von dem Zeug runterzukriegen und dann kommt so ein Quacksalber daher und macht einem alles zunichte.“
Doktor R. hält sich allerdings für besonders kompetent auf dem Gebiet der Drogentherapie. Um die 500 drogenabhängige Patienten habe er in den vergangenen eineinhalb Jahren betreut. „100 habe ich von der Sucht runtergeholt“, sagt der Arzt. „Die anderen Therapien sind furchtbar teuer und langwierig.“Durch eine besonders hohe Dosierung von Rohypnol und Valium könnten Heroinabhängige von ihrer Sucht befreit werden, so die Therapie des Doktor R. „Das ist völliger Quatsch“, entgegnet ein Medinzer bei der Gesundheitsbehörde, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Mit diesen Stoffen setzt man eher noch eins drauf.“
Daß die Heroinabhängigen zum Teil im Methadon-Programm waren und sich mit Hilfe seiner Rezepte einen regelrechten Medikamenten-Cocktail mixten, habe er nicht wissen können, verteidigt sich Doktor R. „Die Leute sind zu mir gekommen, und ich habe ihnen was gegen die Entzugserscheinungen verschrieben.“Blut- oder Urinuntersuchungen habe er nicht angestellt: „Ich hatte 50 Drogenabhängige am Tag, dazu habe ich keine Zeit. Außerdem ist es Sache der anderen Ärzte, dafür zu sorgen, daß ihre Patienten neben dem Methadon keine anderen Medikamente nehmen.“
Das taten die Ärzte auch und zeigten ihren Kollegen bei der Gesundheitsbehörde an. Doktor R. sieht sich nun als Opfer einer Intrige. „Die Ärzte waren sauer, weil ich mehr Patienten hatte, und auch die Apotheken waren sauer. Deshalb hat man mich angeschwärzt. Dabei habe ich gar nichts verdient. Höchstens eine Mark für die Rezepte. Außerdem haben die mir alles kaputtgemacht und viel geklaut.“Wenn Doktor R. angeklagt und verurteilt wird, muß er unter Umständen damit rechnen, daß ihm die Zulassung als Arzt entzogen wird. Und das würde den Mediziner schwer treffen: „Ich bin Arzt, weil es mir Spaß macht. Ich arbeite nicht, um Geld zu verdienen. Das habe ich gar nicht nötig. Ich will den Menschen nur helfen.“
Kerstin Schneider
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