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Brot & Spiele ohne Blutvergießen

■ „Cherrybomb“musizierten in der Schlachthof-Arena für das fußfaule, aber auffällig friedliebende Volk

Bei einem Begriff wie „Arena-Konzert“kann man schon auf schräge Gedanken kommen; vor allem, wenn das dazugehörige Kulturzentrum ausgerechnet Schlachthof heißt. Das klingt nach Blutvergießen vor aufgebrachtem Pöbel und unbarmherzigen Autoritäten. Daumen runter, und die Band, oder was von ihr übrig ist, wird in dieser Stadt kein Tönchen mehr von sich geben.

Dabei sind die Konzerte in der arenaförmigen Open-Air-Sitzecke des Schlachthofgeländes alles andere als von Brutalität und Feindseligkeit geprägt. Im Gegenteil: Als am Sonntagnachmittag „Cherrybomb“ins tiefergelegte Halbrund traten, war auf den steinernen Rängen und den nahegelegenen Gartenlokalbänken wieder einmal gelassene Harmonie angesagt. Nur auf den ersten Blick bedrohliche Vierbeiner leckten genüßlich Ketchup und Mayo aus fortgeworfenen Pommes-Pappschalen, während wettergemäß luftig bekleidete Zweibeiner dem ebenso luftigen Pop der fünf Musiker lauschten. Diese ZuhörerInnen bewegten sich höchstens, wenn neues Alster hermußte oder das Ende eines Songs zum Applaudieren einlud.

An Arbeit war nicht zu denken. Als ein Freiwilliger zum Aufziehen einer neuen Gitarrensaite gesucht wurde, war ohne Bezahlung niemand dazu bereit. Gehirne wollten auch nicht angestrengt werden. Eine feilgebotene Demokassette blieb unverlost, weil beim Cover-Version-Quiz niemand auf die Antwort kam. Stagediven mochte schon gar niemand, obwohl die Architektur mit der tiefen Bühne und den hohen Plätzen dafür wie geschaffen war, dem Bühnentauchen endlich einmal im nahezu wörtlich Sinne nachzugehen. Sonne und Kopfsteinpflaster hielten wohl davon ab.

Zudem waren „Cherrybomb's“Songs fantastisch zum unaufgeregten Zuhören und Genießen geeignet. Melancholisch war im poppigen Gitarrengewand einiges, regelrecht düster gottlob nichts. Und richtig rocken konnten die Jungs auch, obwohl kaum ein Song komplett breitbeinig dahergestampft kam. Die Bremer verstanden es vorzüglich, in ihren Stücken, die beinahe allesamt ein mittleres Tempo vorlegten, unterschiedliche Stile und Gefühlsregungen so einzubauen, daß es dramaturgisch Sinn machte. Selten uferten die straff konstruierten Lieder im großen instrumentalen Showdown aus. Wenn sie es doch taten, kam dieser noch immer als durchdachtes Miteinander daher, in dem Einzelleistungen dennoch zu würdigen waren.

Sympathisch auch die Entertainerqualitäten des Sängers. Unverkrampft erzählte er zu vielen Songs eine kleine Geschichte, oder huldigte aus gegebenen Anlaß dem King, dessen Todestag sich am vorangegangenen Samstag zum 20. Mal gejährt hatte. Für Elvis gab es eine Coverversion von „Are you Lonesome Tonight?“. Mit schrammeliger Gitarre und taumelnder Stimme ironisch dargeboten, klang sie eher nach „spätnachts bzw. frühmorgens in der Kneipe“als „nachmittags draußen“. „Es darf geweint werden“, hatte der Frontmann erlaubt. Ob wegen des verstorbenen Hüftschwingers oder wegen der Qualität des „Cherrybomb“-Tributs, verriet er nicht. Immerhin war es eine nette Geste, die sehr schön in diesen netten Auftritt an einem netten Sonntagnachmittag paßte.

Andreas Neuenkirchen

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