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Sie leben in Baracken und von neunzig Mark im Monat. Vielen Bewohnern des serbischen Teils Sarajevos geht es heute schlechter als den Muslimen jenseits der ehemaligen Front. Die Schuld dafür geben immer mehr Serben ihrem Ex-Präsidenten Kara

Sie leben in Baracken und von neunzig Mark im Monat. Vielen Bewohnern des serbischen Teils Sarajevos geht es heute schlechter als den Muslimen jenseits der ehemaligen Front. Die Schuld dafür geben immer mehr Serben ihrem Ex-Präsidenten Karadžić. An das Tribunal in Den Haag wollen sie ihn jedoch nicht ausliefern. Hier trifft sich ihr Wunsch mit dem der USA.

Vom Heiligen zum Kriminellen

Das Haus, in dem Darko Stanisić lebt, ist eigentlich mehr eine Baracke. „Nicht zu vergleichen mit unserer Wohnung in Sarajevo“, sagt der 32jährige bosnische Serbe niedergeschlagen. Zusammen mit seiner Frau Zorica und dem siebzehn Monate alten Sohn Milan bewohnt er ein mit Sperrmüll möbliertes Zimmer in Lukavica. Das gehört zwar eigentlich noch zu Sarajevo, liegt aber auf der serbischen Seite der Demarkationslinie.

Ihre alte Wohnung mußten die Stanisić' im März 1996 verlassen. Damals hatte die Polizei der muslimisch-kroatischen Föderation den Vorort Ilidza, in dem die beiden bis dahin lebten, gemäß dem Friedensvertrag von Dayton von der Serbischen Republik übernommen. 500 Mark, über fünf Monatsgehälter, hat die beiden der Umzug ins serbische Lukavica damals gekostet – „unser letztes Geld“. Die Regierung hatte schnelle, unbürokratische Hilfe versprochen, „aber die kam nie an“.

Rund 12.000 Serben ging es ähnlich wie Darko und Zorica. Die meisten von ihnen leben nach wie vor in umgebauten Hotels und Notunterkünften in den Bergen um die bosnische Hauptstadt – gleich neben den Resten der Geschützstellungen, aus denen die Armee ihrer Serbischen Republik vier Jahre lang täglich nach Sarajevo hinunter geschossen hatte.

„Unsere Politiker haben uns betrogen“, faßt Darko Stanisić seine Enttäuschung zusammen – und zieht noch ein Bier aus dem alten, laut vor sich hin brummenden Kühlschrank. „Jetzt ist es Zeit, daß wir Serben den Staat, den wir uns in Bosnien erkämpft haben, aufräumen.“ Mehr als vier Jahre hat er in der Armee der Serbischen Republik gedient. „Ich war für ein vereintes Jugoslawien“, erklärt er, „da war es logisch, daß ich gegen die muslimischen und kroatischen Seperatisten kämpfen wollte.“

Doch den Sold für das letzte Jahr Armeedienst hat Darko bis heute nicht erhalten. Und die Steuerbefreiung, die ehemalige Angehörige der Streitkräfte auf der anderen Seite der alten Frontlinie auf Autos, technische Geräte und Gebrauchsgegenstände eingeräumt bekommen, läßt in der Serbischen Republik auf sich warten.

„Während sich einige unserer Politiker und Generäle Villen bauen und schicke neue Autos fahren, haben wir einfachen Leute nicht genug zum Leben“, sagt Darko verbittert. „Und die internationalen Organisationen geben uns keine finanzielle Hilfe, weil einige unserer Politiker nicht mit ihnen kooperieren.“

Der junge Serbe nennt keinen dieser Politiker beim Namen. Noch immer fällt es ihm schwer einzugestehen, daß sein ehemaliger Präsident Radovan Karadžić die eigenen Leute bestiehlt. Denn für Darko Stanisić war Karadžić damals, während des Krieges, ein „Heiliger“, ein „Retter“ – und seine Serbische Demokratische Partei SDS war seine „Kirche“.

Vor ein paar Wochen ist der „eigentlich völlig unpolitische“ Darko der Sozialistischen Partei beigetreten – der größten oppositionellen Gruppe der Republik. Von den Sozialisten – einem Ableger der Milošević-Partei im benachbarten Serbien – erhofft er sich vor allem, „daß sie Schluß machen mit der Korruption der herrschenden SDS-Clique“ Tatsächlich kann auch der überzeugteste Karadžić- Anhänger kaum übersehen, wie sich der ehemalige Präsident in dieser Nachkriegszeit bereichert. Gern zeigt er sich in den Luxusmodellen von Daimler Benz. Zwei Firmen, die fast den gesamten Import von Brennstoff, Alkohol und Kaffee abwickeln, werden von ihm kontrolliert. Aus Kroatien läßt er Zigaretten einschmuggeln. Der Steuerhinterziehung beschuldigt die Präsidentin der Republik, Biljana Plavšić, ihren Vorgänger.

Predrag Rajić lebt ein paar Häuser von den Stanisić' entfernt. An einer Straße, die früher die Hauptverbindung ins Zentrum Sarajevos war, heute aber für die meisten der Anwohner ins Nichts führt. Predrag dagegen benutzt die Straße nach wie vor täglich. Der 38jährige Elektriker arbeitet im Hauptquartier der Vereinten Nationen – „im muslimischen Teil Sarajevos“, wie er selbst sagt.

Wie Nachbar Darko steht auch Predrag im Machtkampf um die Serbische Republik auf seiten der Präsidentin Biljana Plavšić. „Wir müssen unsere Republik öffnen“, sagt er, „nicht nur für Ausländer – auch für Muslime, die zurückkommen wollen und bereit sind, unsere Gesetze zu akzeptieren.“

Vom Plavšić-Flügel erhofft sich Predrag vor allem einen höheren Lebensstandard: Mit einem Durchschnittseinkommen von rund 90 Mark im Monat, massenhafter Arbeitslosigkeit und Armut überleben die Menschen in der Republika Srpska jeden Monat gerade so – am äußersten Rande des Existenzminimums. „Warum sollen wir hier schlechter leben als die da drüben?“ fragt er und weist über den bewaldeten Hang in Richtung Sarajevo. Dort verdienen die Menschen immerhin zirka 250 Mark im Monat.

Bei aller Kritik an Karadžić – wie eine Wende zum Besseren in der Serbischen Republik nun aussehen soll, weiß keiner. „Karadžić nach Den Haag auszuliefern, kommt nicht in Frage“, sagt Darko, „wir werden selbst hier aufräumen müssen.“ So wie „die Muslime“ es 1995 gemacht hätten: „Die haben einfach ihre Polizei losgeschickt, die großen Nummern verhaftet, die Gangs entwaffnet und nach Hause geschickt.“

Doch über den Unterschied zur Situation in Sarajevo 1995 wollen Darko und Predrag nicht sprechen. Denn dort waren die Kriminellen nicht identisch mit den mächtigsten Politikern. Doch genau das ist in der Serbischen Republik der Fall. Und genau das ist das Problem. Rüdiger Rossig, Sarajevo

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