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„Notnagel“bringt Ausbilder in Rage

■ Bildungsbehörde will Lehrstellen-Mangel mit „Praktikums-Modell“angehen / Bremerhaven sieht Konzept für schulische Ausbildung ausgebremst / Praktiker befürchten Billig-Ausbildung

Mehrere hundert SchulabgängerInnen werden auch in diesem Jahr im Lande Bremen keinen Ausbildungsplatz in einem normalen Betrieb bekommen. Wie diese Jugendlichen von der Straße geholt werden sollen, darüber ist ein handfester Streit ausgebrochen.

„Was Bildungssenatorin Kahrs vorhat, pervertiert den Grundgedanken des dualen Systems der Berufsausbildung“, donnert der Chef des Berufsbildungs- und Technologiezentrums (BTZ) der Kreishandwerkerschaft Bremerhaven. Was Josef Solscheid so in Rage bringt, ist jener „Notnagel“gegen die Lehrstellen-Not, den Kahrs' Beamte derzeit schmieden. Demnach sollen bis zu 500 Auszubildende acht Monate des Jahres die Berufsschulbank drücken und vier Monate in Betrieben Praktika machen.

„Es liegt doch auf der Hand, daß solche Praktikanten nur für niedrige Arbeiten eingesetzt werden“, sagt Solscheid, und die meisten Berufsbildungsexperten in den Kammern teilen seine Bedenken. Unter der Hand befürchten viele, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe könne sogar zurückgehen. Zum Werkstatt-Ausfegen wären ja dann die Dauerpraktikanten da. „Auf dem Arbeitsmarkt hätten die keine Chance“, sagt ein Ausbilder.

In Bremerhaven sieht man durch die „Praktikumspläne“des Bildungsressorts eigene Anstrengungen für eine solide schulische Berufsausbildung torpediert. Nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers der Kreishandwerkerschaft, Peter Keck, fehlen in Bremerhaven Groß-Betriebe, die in eigenen Lehrwerkstätten die Praktikanten qualifiziert unterweisen könnten.

In der Seestadt dürften 300 der 2.000 Bewerber im Rennen um eine Lehrstelle leer ausgehen. Darum hatten Schulamt und Kreishandwerkerschaft gemeinsam ein Konzept für eine „Berufsfachschule qualifizierend“ausgearbeitet: 144 Jugendliuche sollten in 16 Berufen ausgebildet werden. Nach Angaben aus dem Schulamt war diese Kooperation notwendig, weil Ausbilder und Werkstätten der städtischen Berufsfachschulen bereits belegt sind. Man war davon ausgegangen, mit dem Konzept einer Order der Senatsbehörde zu gehorchen: Nämlich Vorschläge gegen die drohende Ausbildungsplatz-Not vorzulegen.

Die Senats-Bildungsbehörde in Bremen hat den Antrag auf vier Millionen Mark, mit dem die dreijährige Ausbildung für die 144 Jugendlichen finanziert werden sollte, nicht ans geldgebende Arbeitsressort weitergeleitet. „Es gibt keine zusätzlichen Mittel für die schulische Berufsausbildung“, sagt Behördensprecherin Erika Huxhold.

Das Praktikanten-Modell sei genau deshalb entstanden, um nicht ausgelastete Bremer Berufsschullehrer einsetzen zu können. So könne man Ausbildungsplätze schaffen, ohne mehr öffentliches Geld aufzuwenden. Die Bremerhavener halten dagegen, solche freien Kapazitäten hätten sie nicht.

Huxhold räumt ein, daß vollschulische Ausbildungsgänge wohl qualitativ besser seien. Aber auch die „Praktikanten“würden nach ihrer Lehrzeit bei den Kammern ordnungsgemäß geprüft. Wie genau aber der „Notnagel“gegen die Ausbildungsplatz-Not aber organisiert werden soll und ob zum Beispiel eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, ist offen. Man will nicht zu früh über Details verhandeln, um die „Ausbildungsplatz-Offensive“der Kammern und Arbeitsämter nicht zu stören. Noch seien auch Stellen in attraktiven Berufe zu haben, wirbt die Bremer Handelskammer. Joachim Fahrun

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