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Die segensreiche Alternative

Drei Bierhoff-Tore sorgen dafür, daß die deutschen Fußballer gegen Nordirland gewinnen und die WM 1998 langsam eingeplant werden kann  ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck

Am Ende ist es doch noch ein netter Abend geworden. Der Trainer der nordirischen Fußball-Nationalmannschaft, Bryan Hamilton, outete sich nach der 1:3-Niederlage als „Fan der Deutschen“, gegen die man vorher zwanzig Jahre lang nicht verloren hatte. Kollege Berti Vogts prophezeite den Nordiren die Qualifikation – allerdings nicht für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr in Frankreich, die nach der Niederlage nun auch theoretisch nicht mehr möglich ist, sondern für die Europameisterschaft zwei Jahre später in Belgien und den Niederlanden.

Vor dem Spiel gab es keine Nettigkeiten. Da hatte man sich um den Ball gezankt. Das Arbeitsgerät, das die Nordiren bereitgestellt hatten, sei ausländische Ware ohne Gütesiegel der Fifa, konstatierte Vogts. Mario Basler maulte gar, das sei überhaupt kein Ball. Der spanische Schiedsrichter Garcia- Aranda gab nach und orderte eine adidas-Kugel.

Der Windsor Park in Belfast, wo Nordirland seine Heimspiele austrägt, ist ein gefürchteter Ort, und das liegt nicht unbedingt an der Spielstärke der Mannschaft. Das Stadion liegt mitten im Village, einem protestantischen Ghetto mit blutrünstigen Wandmalereien. Wer zum Stadion will, muß durch die kleinen Straßen mit den Bordsteinkanten, die britisch rot-weiß- blau angestrichen sind, und den typischen Belfaster Backsteinhäusern, von denen Union Jacks herabwehen. An der Ecke vor dem Haupteingang liegt der Fanshop des FC Linfield – ein Verein, der prinzipiell keine Katholiken verpflichtet. Und Katholiken trauen sich auch kaum ins Stadion.

Am Mittwoch wurde der West Stand, die neue Tribüne, offiziell eröffnet, der Windsor Park entspricht jetzt den Fifa-Anforderungen und hat nur noch Sitzplätze. Die alte Stehplatztribüne, der „Spion Kop“, war im vorigen Jahr abgerissen worden. Der Name der Tribüne ging auf den Burenkrieg zurück: Im Jahr 1900 mußte die britische Armee in der Schlacht am Spion Kop in Südafrika eine schwere Niederlage einstecken, und das wünschte man auch den Gegnern, die gegen Nordirland antraten.

Damals quetschten sich manchmal bis zu 50.000 Menschen in das enge Stadion, zum Beispiel beim Spiel gegen die englischen Weltmeister 1966. Wegen der verschärften Sicherheitsauflagen wurde das Fassungsvermögen 1981 auf 40.000 gesenkt, doch auch das scheint heute unvorstellbar, denn jetzt passen nur noch 14.450 Leute ins Stadion und haben kaum Platz zum Atmen.

Aber so viele waren gar nicht gekommen, um die „Mighty Germans“ zu sehen. Das Stadion war nicht ausverkauft. Während sich die Spieler warmliefen, spielte die nordirische Polizeikapelle, die ihre kugelsicheren Westen und Maschinengewehre an diesem Tag gegen Schottenröckchen und Dudelsäcke eingetauscht hatte. Die War Pipers, also Kriegspfeifer, hatten die Briten schon immer zuerst in jede Schlacht geschickt, damit sie mit ihrem ohrenbetäubenden Lärm den Gegner einschüchterten.

Das funktionierte vorgestern nur bedingt. Zwar brachte das nordirische Team die Vogts-Buben mit ihren überfallartigen Kontern ab und zu in Verlegenheit, doch das meiste spielte sich vor dem Tor des nordirischen Ersatztorwarts Aidan Davison ab. Als Michael Hughes nach knapp einer Stunde einen wunderschönen Konter mit dem Führungstor für Nordirland abschloß, machte sich bei den 1.000 mitgereisten deutschen Fans allerdings Panik breit. Hughes' Tor war das 500. in der nordirischen Fußballgeschichte, die 1882 begann. Das sind 4,3 Tore pro Jahr – keine großartige Bilanz.

Und es reichte auch am Mittwoch nicht, weil Vogts beim Auswechseln unverschämtes Glück hatte. Kaum war Oliver Bierhoff auf dem Platz, da erzielte er innerhalb von sieben Minuten – jeweils nach Vorlage des ebenfalls eingewechselten Häßler – einen Hattrick, den ersten seiner Karriere. Vogts freute sich nach dem Spiel über seine „guten Alternativen“. Da würden die Stammspieler öfter mal angstvoll zur Auswechselbank schielen, sagte er. Das taten in Belfast wohl vor allem die Abwehrspieler, die selten im Bilde waren.

Bei der deutschen Mannschaft hat man die WM-Qualifikation so gut wie abgehakt und bereits zwei Vorbereitungsspiele für das Turnier in Frankreich festgemacht: am 15. Februar gegen Oman, vier Tage später gegen Saudi-Arabien. Die richtigen Aufbaugegner für die deutschen Verteidiger: Wenn sie wieder zu oft zur Auswechselbank schielen, kann Vogts sie gleich in die dahinterliegende Wüste schicken.

Deutschland: Köpke – Helmer – Kohler – Wörns (64. Häßler), Nowotny, Ziege, Heinrich – Möller, Basler (84. Babbel), – Klinsmann, Kirsten (68. Bierhoff)

Zuschauer: 12.000; Tore: 1:0 Hughes (60.), 1:1 Bierhoff (73.), 1:2 Bierhoff (78.), 1:3 Bierhoff (79.)

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