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Schwimmbadplatschlustige Höllenhitze

■ Das Australian Dance Theatre und eine französisch-pakistanische Koproduktion beim Sommertheater Festival

ugen, Nase, Ohren, Mund. Was macht den Menschen aus? Nicht allein die Sinne, zeigt das Australian Dance Theatre. Arme, Beine, Bäuche, Kraft und Muskeln bestimmen seine Choreographie Inuk, die Donnerstag beim Sommertheater Festival europäische Erstaufführung feierte. Inuk bedeutet „Mensch“in der Sprache kanadischer Indianer, deren kompetitive Vokalgesänge die Choreographin Meryl Tankard zu einem Tanzstück über das Wesen der menschlichen Natur inspirierten.

Auf der Bühne trommelt ein Mann mit den Armen auf seine Brust. Ritual oder äffisches Imponiergehabe? Eine Frau wiederholt eine verzerrte Drehung, eine andere rennt im Kreis. Vielleicht sind Rituale nichts als domestizierte Ticks, und Personen definieren sich über ihre persönliche Paranoia. Dabei ist den Kreaturen auf der Bühne etwas Tierisches geblieben, eine Geducktheit und Elastizität. Und vor allem ein hahnenkampfähnlicher Drang zu Selbstdarstellung und permanentem Kräftemessen.

In der ersten Hälfte der zweistündigen Choreographie stellt das 11köpfige Ensemble vor allem seine Kraft und akrobatischen Fähigkeiten unter Beweis. Und obwohl es beeindrucken kann, wenn eine kleine Frau zehn Kollegen über die Bühne trägt, ermüden die getanzten Kräftespiele inklusive Springen, Fallen, Rollen und Klammern auf Dauer zumindest den Zuschauer. Zumal sie, was die Tanzentwicklung der letzten zehn Jahre angeht, auch nicht eben neu sind.

Nach der Pause gewinnt das Stück jedoch an Dynamik. Den pubertär sportiven Rangeleien folgt eine konzentrierter konstruiert wirkende Choreographie zu den Themen „Couples“, „Isolation“, „Home“, „Hell“. Die Bühne in ein tiefes Blau getaucht, tanzen vor dem Prospekt eines weiten Himmels Menschen Verbindungen unterschiedlichen Typs: Soli, Pas de deux, synchrone Ensemblechoreographien und orchestriertes Chaos. Bis auf die etwas pantomimische Umsetzung von Brels Ne me quitte pas wird das Motiv „Mensch“abstrakter behandelt, statt illustrativ getanztem Konkurrenzwillen werden auch nicht entzifferbare Gründe und Abgründe der menschlichen Seele in Bewegung vorgestellt.

Grandios war die verwendete Vokalmusik von allen Kontinenten, überflüssig die schwimmbadplatsch-lustige Schlußsequenz. Warum Meryl Tankard zu den großen ChoreographInnen unserer Zeit zählt, erschließt sich allein über diese Arbeit nicht. Christiane Kühl

noch heute, 20 Uhr, K6

äucherstäbchen, sanfte orientalische Klänge und anmutig tänzelnde Schönheiten mit Mandelaugen: Wie in ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht getaucht fühlte sich das Publikum am Donnerstag abend bei der europäischen Erstaufführung des 1995 entstandenen Tanzstücks Indus et Europa. Doch der Zauber hielt keine Minute an. Immer schneller und kantiger bewegten sich die sechs TänzerInnen zur schriller tönenden Musik, bis Chaos und Hektik jeden Funken orientalischer Ruhe und Gelassenheit erstickt hatten.

Was als spannungsvolle westöstliche Begegnung gedacht war, entpuppte sich nach dieser ersten Irritation als eine krampfhafte Annäherung von europäischer und orientalischer Tanzkultur, die den Zuschauer in Ratlosigkeit und Langeweile hinterließ. Ganz behutsam wollte der französische Choreograph Jean-Marc Matos zusammen mit der pakistanischen Tänzerin Sheema Kermani deren sechsköpfiges Ensemble aus der Starrheit traditioneller indischer Tänze lösen. Doch wenn sich Frauen und Männer auf der Bühne berühren und anlächeln, mag das im islamischen Pakistan, einem Land, das Tanz an sich schon als obszöne Körperschau verbietet, ein doppelter Tabubruch sein – für deutsche Augen wirkt das Anhimmeln konventionell bis kitschig.

Der größte Schwachpunkt der Inszenierung aber war das völlige Fehlen eines erzählerischen Flusses. Szene an Szene wurde aneinandergereiht, ohne Entwicklung, ohne Höhepunkt. Stunden hätte es so weitergehen können: Nackte Füße stampften über den Boden, Arme, Handgelenke und Finger drehten und spreizten sich in filigraner Leichtigkeit. Auch die Musik des französischen Komponisten Kasper T. Toeplitz drehte sich im Kreis. Harmonische Klänge von Sitar und Tabla, Flöte und Vogelgesang verwandelten sich immer wieder allmählich in elektronisch verzerrte Geräuschangriffe, die nur einen Wunsch aufkommen ließen: fluchtartig die stickige Halle zu verlassen. Karin Liebe

noch heute, 20 Uhr, k1

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