■ Querspalte
: Mit Prachtl allein im Wald

Wollen wir ihm folgen. Schließen wir die Augen und stellen uns vor, wir stehen im Wald. Was sehen wir? Bäume, Heide, grasgrüne Farnbüsche, güldene Lichtungen. Seltsame Nebel springen von Kälte kündend durchs Unterholz. Anschwellender Romantik ausgeliefert, krallen wir uns fest an abgestorbenen Ästen, verdorrt durch zu viele Prisen Kohlendioxid, blicken auf ausgequetschte Bierbüchsen und achtlos hingeworfene Baseballschläger. Wo sind wir? Diese Frage soll uns nicht gestellt werden müssen, brummt er.

Was sagt der Mann, der uns von seinem Präsidentenschreibtisch aus im Traum dirigiert? Ich sing' allein im Wald, komm, sing mit mir. Stumm zeigt unser Führer auf Kieferzweige. Warum such' ich heute den längst verfallenen Schützengraben? So ruft der Grabsucher, war es ein heller Knabe, der hier starb? Seine fleischige Hand fährt in die Erde. Wer griff noch ins Erdreich hinein? Hier brachen Tage zusammen, zerfloß die Luft, lagen junge Brüste auf Panzerplatten. Seine Augen kippen unter die Lider. Starr bibbernd stehen wir vor unserem Traumführer. Seine Stimme wird lauter: Ich stochere in schwarzen Feuerresten. Buchstabiere den Ausweg: TIEFES PFLÜGEN. Schweigen hallt in Kiefernzweigen. Von unserer gekräuselten Stirn tropft kalter Schweiß. Wo sind wir hier?! Im vorherrschenden Ökosystem. In Mecklenburg-Vorpommern.

Wer ist der Mann? Rainer Prachtl. Landtagspräsident, Mitglied der CDU, Vorsitzender des Tourismusverbands. Er hat uns aus seinem Buch vorgelesen: Botschaften vom Wald.

Wie man hört, verdichtet Rainer Prachtl gern seine Erlebnisse zu Büchern. Als gelernter Koch hat er Rezepte gesammelt: „Von Sankt Martin bis Silvester – Kulinarisches Brauchtum zur Weihnachtszeit“. Aber wer inspirierte ihn zu den nackten Botschaften an moosbewachsenen Panzerplatten? Verarbeitete er womöglich Erfahrungen mit Skinheads, die seit Jahren lieblich gelegene Campingplätze in Mecklenburg-Vorpommern überfallen? Aber das nur nebenbei. Annette Rogalla