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Nylons und andere Leichtigkeiten

■ „Das gute Gefühl eine Frau zu sein – industrial products“

Nur ein Dornenkranz aus Glühbirnen markiert die Grenze der Bühne. Der Künstler Christian Röhrs hat das Bühnenbild zu Claudia Surbirs Soloperformance schlicht gestaltet. Videoprojektionen flimmern im Hintergrund, mal synchron, mal gegen den Rhythmus und Fluß der Tanzsequenzen.

Filigrane Ballettmusik mixt sich mit fetten Technobeats. Zwischendurch werden japanischer Easy Listening, 50er Jahre Schlager und Operettenmelodien abgenudelt.

Das gute Gefühl eine Frau zu sein – der Werbeslogan für ein Shampoo – ist inzwischen selbst ein Ohrwurm, der sich durch die Gehörgänge ins Gedächtnis schleimt. Die unterträgliche Leichtigkeit des Werbeslogans.

Täglich rollen neue Frauenbilder über das Warenfließband der Film- und Fernsehindustrie. Mit dem merkwürdigen Verhältnis dieser „Glanzabzüge“zum „eigenen inneren weiblichen Mikrokosmos“beschäftigt sich die Choreographin und Tänzerin Surbir in ihrem Stück.

Auch Gefühlskonsumenten werden bedient. „Love me, love me, say that you love me...“, zum Cardigans-Hit tanzt Surbir im roten Marilyn-Monroe-Kleid das Intro. Sie post wie Madonna, lupft ihren schreiendroten Rock und läßt ihre Hand pikant in den Schritt fahren. Nur eine blonde Perücke braucht's, und die Frau, die inzwischen in einen blaugemusterten Putzkittel geschlüpft ist, mutiert wieder. Diesmal zu einer entrückten Leinwandschönheit. Dazu immer wieder Anspielungen auf Schwanensee und auf die alte Mär von der zum Tier verhexten Schönen, die nur ein Mann mit geräumigen Herzen vom bösen Fluch befreien kann.

Wieder ein Kostümwechsel. Ein unschuldiges Gretchen mit Lametta Weihnachtsbaumkrone macht sich zum Schlafen bereit. Sie zieht ihr Kleid aus. Die hautfarbene Seidenstrumpfhose ist hochgezogen bis zum BH-Ansatz. Nylon, der Stoff aus dem die Industrie ihre Langbeinigkeitsmythen spinnt, wird zum Ganzkörperschutz. „Gute Nacht, liebes Mädel“, singt eine väterliche Männerstimme. Der Schlager vom großen Glück für kleine Frauen. Die Plattenspieler- nadel hakt, das Wiegenlied für einnickenden Dornrösschen säuselt sich in einer Endlosschleife ein. Gleichzeitig bewegen sich Tampons wie Samen auf dem Bildschirm. Traute Intimität. Bildstörungen unterbrechen die Videoprojektionen. Und am Ende muß der schöne Schwan doch dran glauben und Federn lassen.

Julia Lee

Heute, 20 Uhr, im Zelttheater im Schanzenpark

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