Die Fahnenträger gehen unter

Werder Bremen steckt nach dem 0:3 bei Arminia Bielefeld auch ohne seinen alten Trainer Dörner in einer äußerst tiefen Daseinskrise  ■ Aus Bielefeld Jörg Winterfeldt

Das Gesicht war so blaß wie am Mittwoch, als er die Entlassung seines Trainer Hans-Jürgen Dörner vermelden mußte, der Anzug am Samstag immer noch schwarz. An Angemessenheit hat die Trauerfarbe im Verlauf der Bielefeld- Dienstreise ohnehin nichts eingebüßt: Nicht einmal eine Woche nach den zwölf Gegentoren in zwei Partien auf dem Teneriffa-Trip präsentierte sich Werder Bremen beim 0:3 in beständig desolater Verfassung – hätten die Gastgeber nur einige Promille erfolgreicher abgeschlossen, dann wäre die Weser-Gruppe zweistellig demontiert worden. „Ich kann mich nicht erinnern“, gestand Lemke kleinlaut, „die Mannschaft jemals so verunsichert gesehen zu haben wie heute.“

In aller Eile war Wolfgang Sidka kommissarisch vom Co- zum Cheftrainer befördert worden, aber in den drei Tagen seiner Amtszeit trotz allen Ehrgeizes nicht zu Verbesserungen in der Lage. Seinen Tabellenletzten verordnete Sidka gegen Arminia „deutsche Tugenden: Kampf und Einsatz“. „Der Wille dazu“, beobachtete der Vereinsvize Klaus- Dieter Fischer von der Tribüne, „war vorhanden.“ Leider sei der in einer „Übermotivation“ kulminiert, so daß Schiedsrichter Weber zuweilen Sidkas forscher Forderung mit dem Regelwerk Einhalt gebot. „Da“, schwante es Fischer, „hat der ein oder andere nicht mehr durchgezogen.“

Den Haudegen Eilts, als Libero aufgeboten, mochte das zunächst nicht erschüttern. Doch als er nach zehn Minuten den slalomkurvenden Sternkopf zum Bodenkontakt nötigte, strafte ihn Linksfuß Maul schmerzhaft ab, indem er den fälligen Freistoß aus 18 Metern prompt zur Führung im Winkel versenkte. Nicht nur die weiteren Treffer durch Daei und Kuntz veranschaulichten der Bremer Führungsebene die kollektive Hilflosigkeit ihrer Angestellten inklusive des Nachweises, daß das Team zuvor garantiert nicht gegen den Trainer Dörner gespielt hatte. In der Ursachenforschung stellt der einstige Vorzeigeklub, der als Synonym von Solidität galt, nun seine Grundsätze in Frage.

„In der Mannschaft“, zürnte Funktionär Fischer, „ist keiner bereit, sich an die Spitze der Hierarchie zu setzen.“ Dem geschiedenen Übungsleiter kreidete er an, zugelassen zu haben, „daß der eigentliche Fahnenträger die Kapitänsbinde abgibt“. Der dem unfreiwillig vom Mitläufer beförderten Eilts im Mannschaftsführeramt nachgefolgte Reck demissionierte aus freien Stücken vor dem Bielefeld- Kick, „weil sein Einfluß verbal nur bis zur 16-Meter-Grenze reicht“ (Sidka). Der Österreicher Herzog hingegen, Erbe der in Bremen unpopulär gewordenen Bürde, begann bereits nach einer halben Stunde resignativ den Kopf hängenzulassen: „Wir stehen hinten net gut, und nach vorne gelingt uns gar nix.“ Draußen stand der Manager Lemke ratlos und propagierte, „sich einmal auf der Zunge zergehen zu lassen, was für Spitzenspieler wir im Kader haben“. Einigen, schwant Lemke, sei das Bewußtsein abhanden gekommen, „was für ein Privileg es ist, Fußball-Bundesligaspieler sein zu dürfen“. Deswegen wünscht er sich nun einen Trainer, „der mal richtig dazwischenhaut“.

In Gesprächen überprüft die Werder-Führung derzeit sorgfältig die Vereinbarkeit der Kandidaten mit einem erstellten Profil: Der Traumtyp „muß eine gerade Linie gehen, wissen, was er will, das letzte Wort haben, teamfähig sein, aber sich Beratungen nicht verwehren, mit der Mannschaft reden und in der Lage sein, in sie reinzuhören“, verrät Vereinsvorstandsvize Fischer Details aus der internen Stellenbeschreibung.

Weil die Kritik in der Post-Rehhagel-Ära auch an der Chefetage wächst, darf nach der 14jährigen Ottokratie die Otto-Nostalgie nicht in einem weiteren Mißgriff enden. In ihrem eigenen Selbstbewußtsein angekratzt, forscht die Führung derzeit nach einer Minimierung des eigenen Risikos. „Ernsthaft“ werde als Lösung in Erwägung gezogen, „einen Sportdirektor einzubauen“, gesteht Lemke. Der solle den Trainer beraten und Fehleinkäufe vermeiden, „um die Arbeit des Präsidiums abzusichern“: In der Krise ist den Oberen eingefallen, daß sie sich mit einem gutbezahlten Buhmann ein Stück weiter aus der Verantwortung stehlen könnten.

Nach dem zu strengen Aad de Mos haben sie die Position des vorgeblich zu weichen Hans-Jürgen Dörner nicht zuletzt eigenhändig durch einen jeweils zum Jahresende kündbaren Vertrag unterminiert und ihn schließlich „möglicherweise vier, fünf, sechs Wochen zu spät entlassen“ (Lemke). Auch der desaströse Teneriffa-Trip wird dem Management als Fehlplanung vorgeworfen. „Der“, sagte Brand, „hat uns noch sehr in den Knochen gehangen.“ Als die erstaunten Zuschauer auf der Alm bei den Gästen keine Übereinstimmung mehr zwischen anmutigem Vereinsnamen und armseliger Vorstellung finden konnten, stimmte das ganze Rund nach einer Stunde spontan in die größte Häme des Arminen- Blocks ein: „Und ihr wollt Werder Bremen sein?“

Werder Bremen: Reck – Eilts – Ramzy, Benken (30. Frings), Pfeifenberger, Todt, Wicky, Herzog, Frey (75. Wolter) – Labbadia (46. Brand), van Lent

Zuschauer: 22.512; Tore: 1:0 Maul (10.), 2:0 Daei (50.), 3:0 Kuntz (87.)

Gelb-Rote Karte: Pfeifenberger (67.)

Arminia Bielefeld: Miletic – Stratos – Schäfer, Meißner – Bode, Reeb, Maul – Sternkopf (62. Breitkreutz), Kuntz – Reina (82. Ivanovic), Daei (75. Silooy)