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Gerupfter Bibo

Einst erfand Amerikas öffentliches Fernsehen die „Sesamstraße“. Heute sind die Sender unterfinanziert und streiten über die Zukunft  ■ Aus New York Ulrike Langer

Der Streik beim Frachtservice UPS war an Amerikas Stammtischen in diesen Tagen das Thema Nummer eins. Daß die kommerziellen Radio- und TV-Networks sich auf wenige Bilder beschränkten, hat man kaum anders erwartet. Daß allerdings auch die Sender des öffentlich-rechtlichen Public Broadcasting Service (PBS) bloß nichtssagend über das letzte Aufbäumen der US-Gewerkschaften berichteten – das kann wohl nur eine Deutsche verwundern.

Zwar wurden PBS und das National Public Radio (NPR) 1969 ins Leben gerufen, um dem schon damals beklagten Einheitsbrei der kommerziellen Networks eine gewichtige „Stimme der anderen“ entgegenzusetzen. Denn in den USA lief die Medienentwicklung andersherum als in den meisten europäischen Ländern: Elektronische Information und Entertainment waren seit den frühen „Radio Days“ eine Sache zum Geldverdienen, nicht eine staatliche Verlautbarung.

Erst im Zuge des 68er Aufbegehrens kam PBS – nicht als Platzhirsch, sondern als Alibiveranstaltung. An dessen „maximale Freiheit der Berichterstattung“, wie damals festgelegt, mag keiner mehr glauben. Ebensowenig wie an die „minimale Einflußnahme“ des US-Kongresses auf die CPB. Diese nominell unabhängige Finanzierungs- und Aufsichtsbehörde soll überwachen, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht zum Staatsfunk verkommt oder von mächtigen Interessengruppen annektiert wird. Doch genau das ist längst geschehen.

Im Gestrüpp ihrer Statuten verfangen, politisch und finanziell vollkommen abhängig, haben sich die PBS-Sender von den großen gesellschaftlichen Themen verabschiedet. Ob Homosexualität, Feminismus oder Bürgerrechte – sobald auch nur der Ansatz eines „linken“ Themas auftauchte, ging ein Aufschrei durch die Lager der Ultrarechten und religiösen Fundamentalisten. Vielleicht der größte politische Offenbarungseid: Die Kampagne „Big Bird darf nicht sterben“. Als die Stimmung gegen PBS 1995 die höchsten Wogen schlug, blockierten Unterstützer die E-Mail-Boxen böser Politiker ausgerechnet mit der Forderung, Bibo aus der „Sesamstraße“ nicht zu rupfen.

Inzwischen steht die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht mehr auf dem Spiel. In ruhigem Fahrwasser zeigt sich dafür um so deutlicher, daß nur eine intellektuelle Minderheit überhaupt das PBS-Programm verfolgt, auch wenn bald jeder sich darüber ereifert. Die „neuerdings über zwei Prozent Marktanteil in der Prime Time“, von denen Karen Bedford vom PBS-eigenen Current schwärmt, wirken rührend gegen die geballte Quotenmacht der Kommerziellen.

„Auch UPS war bei PBS business as usual“, meint der desillusionierte New Yorker Filmemacher und Emmy-Preisträger Danny Schechter, der seit zehn Jahren versucht, „relevante gesellschaftliche Themen“ beim öffentlichen Fernsehen unterzubringen. 1995 verzichtete das chronisch finanzschwache PBS nach erfolgreicher Intervention von rechts auf eine (geschenkte) Fortsetzung der überaus erfolgreichen „Tales of the City“ – in der Miniserie traten Schwule auf. 1993 lehnte PBS Schechters von der UNO mitfinanzierte Doku-Serie über weltweite Menschenrechtsverletzungen als „zu unausgewogen“ ab.

Auch andere Produzenten beklagen, daß Umwelt- und Sozialthemen, bei denen die kommerziellen Networks ohnehin abwinken, auch bei PBS kaum unterzubringen seien. „Die PBS-Leute sind äußerst vorsichtig geworden“, sagt Ruby Lerner, Vorsitzende der Vereinigung Unabhängiger Video- und Filmemacher. „Sie wollen nicht ständig vom Kongreß gegängelt werden, den wiederum die Rechten in Schach halten.“ Seit die konservative Kongreßmehrheit in regelmäßigen Abständen droht, die ohnehin magere staatliche Unterstützung für PBS ganz zu streichen, hat die Medienwächtergruppe Fair („Fairness and Accuracy in Reporting“) einen Rechtsruck bei PBS festgestellt. „Die Konservativen haben ihr Ziel erreicht. PBS kuscht ganz von allein“, kritisiert Fair-Aktivist Jim Naureckas. Kein Wunder, daß Ultrarechte wie der Abgeordnetensprecher Newt Gingrich und der Talkshowhost Rush Limbaugh neuerdings „die Ausgewogenheit von PBS“ und ihres News-Flaggschiffs „Newshour“ loben.

Fair-Chef Jeff Cohen, kritisiert dagegen: „Die Newshour ist das direkte Sprachrohr offizieller Verlautbarungen aus Washington.“ Das mag seinen Grund vor allem darin haben, daß die „Newshour“ ebenso wie ein erheblicher Teil des übrigen Programms ( PBS produziert grundsätzlich nicht selbst), inzwischen direkt vom Establishment finanziert wird. Von den rund 290 Millionen Dollar für das Programm (Dreiviertel des knappen Gesamtbudgets) stammte 1996 jeder zweite Dollar aus Konzernen oder von privaten Förderern, aber nur noch jeder fünfte aus staatlichen Quellen. Eine Abhängigkeit von der Wirtschaft, die der Kongreßmehrheit nur recht ist.

Dagegen lassen die PBS-Statuten Gewerkschaften, Bürgerrechtler, Umweltschützer und Verbrauchergruppen nicht als Sponsoren zu. Ihre Themen fallen somit unter den Tisch. „Schlimmer kann PBS wirklich nicht mehr werden“, stöhnt Fair-Mann Naureckas. Doch eine gewichtige Minderheit – vor allem Förderer und Aktivisten in den einzelnen Sendern – glaubt weiterhin an die Zukunft des schiefen Modells. Einige sehen das Heil in der strikten Abgrenzung von den Networks und wollen auch beim Sponsoring wieder zurückrudern. Andere propagieren eine Partnerschaft mit den Kommerziellen, um den finanziellen Erpressern im Kongreß die Stirn zu zeigen. Zur Zeit sind Fundis und Realos darüber zerstritten. Erstmals wollen PBS-Manager im November in Texas darüber debattieren, wie es weitergehen soll.

Amerikanisches Public Television 1997 – ein weiter Weg vom Sender der Anfangsjahre, der mit der progressiven „Sesamstraße“ Furore machte. Apropos: Der interessanteste TV-Schlagabtausch zum Thema UPS-Streik fand in CNNs „Crossfire“ statt. So ist das halt im Kapitalismus: Der Sender hat mit intelligenter Kontroverse eine Marktlücke im Network-Einerlei entdeckt. Wurde dafür nicht einst PBS gegründet?

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