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Artillerieduelle in Kaschmir

■ Andauernde Gefechte könnten die für September geplanten Gespräche zwischen Indien und Pakistan gefährden

Pune (taz) – Indische und pakistanische Truppen haben sich gestern nach Angaben indischer Behörden den fünften Tag in Folge Artillerieduelle in Kaschmir geliefert. Die Intensität habe aber nachgelassen. Nach indischen Presseberichten wurden bisher 51 Pakistani und 5 Inder getötet. Das indische Verteidigungsministerium teilte mit, indische Soldaten hätten am Freitag das Feuer erwidert, nachdem pakistanische Truppen indische Stellungen angegriffen und zwei Soldaten getötet hätten.

Am Wochenende hatten sich die Nachbarländer gegenseitig beschuldigt, die für Mitte September geplanten Gespräche zwischen beiden Regierungen zu torpedieren.

Kaschmir gilt als einer der potentiell gefährlichsten Krisenherde der Welt. 1947 und 1965 führten die verfeindeten Nachbarn bereits Krieg um das malerische Tal im Himalaja. Bis heute kommt es an der 1965 vereinbarten Waffenstillstandslinie immer wieder zu Gefechten. Beide Staaten sind im Falle einer Eskalation in der Lage, innerhalb weniger Wochen Atomwaffen herzustellen. Die Dauerkrise bindet Mittel, die dringend für Entwicklungsaufgaben benötigt werden.

Für beide Seiten geht es auch um Grundfragen des staatlichen Selbstverständnisses. Als vor 50 Jahren der Freiheitskampf gegen die Kolonialherrschaft sein Ziel erreichte, fürchteten die Führer der Muslime um ihre Zukunft in einem von Hindus dominierten Indien. Sie formulierten die sogenannte Zwei-Nationen-Theorie, der zufolge die Muslime eine eigenständige Nation bilden, die Anspruch auf einen eigenen Staat habe. Infolge der Teilung Britisch-Indiens wurden die mehrheitlich von Muslimen besiedelten Gebiete im neuen Staat Pakistan zusammengefaßt. Mit einer Ausnahme: Der hinduistische Maharadscha des Muslimgebiets Kaschmir entschloß sich zum Anschluß an Indien. Pakistan versucht seitdem diese Entscheidung rückgängig zu machen. Indien dagegen weist Pakistans Ansprüche als Angriff auf seine territoriale Integrität zurück.

Der 1947 von Pakistan annektierte Westteil Kaschmirs wird von Islamabad mit harter Hand kontrolliert. Neu-Delhi nährte zu Beginn der neunziger Jahre durch Manipulation der lokalen Politik eine militante Widerstandsbewegung, die Pakistan für sich instrumentalisierte. Jahrelang stand der indische Teil Kaschmirs unter Ausnahmerecht. Menschenrechtsverletzungen mit Tausenden von Toten häuften sich. Erst im letzten Jahr übernahm schließlich wieder eine gewählte Regierung die Macht in Kaschmirs Hauptstadt Srinagar.

In der Vergangenheit scheiterten Versöhnungsversuche stets an der Kaschmir-Frage. Nun zeichnet sich eine Annäherung ab. Während der jüngsten Konferenz der Gemeinschaft südasiatischer Staaten im Mai kamen sich Indiens Premier I.K. Gujral und sein pakistanischer Amtskollege Nawaz Sharif näher. Mitte September wird eine pakistanische Delegation in Neu- Delhi erwartet. In mehreren Arbeitsgruppen sollen dann nicht nur der Kaschmir-Konflikt, sondern auch Wirtschaftsbeziehungen und Erleichterungen im Reiseverkehr beraten werden. Rainer Hörig

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