piwik no script img

Viel Kapital, wenig Arbeit

■ Im Beisein des Bundeskanzlers wurde gestern der Grundstein für das Haus der Arbeitgeberverbände gelegt. Etwa 50 Personen demonstrierten gegen die "Bonzen"

Gute Nachricht für den Standort Berlin. Das Kapital flüchtet nicht aus der Stadt – das Kapital kommt. Bis zum geplanten Umzug der Bundesregierung 1999 wollen auch die Arbeitgeberverbände Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber (BDA), Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sowie der Deutsche Industrie- und Handelstag in der Hauptstadt mitmischen. Gestern fand deshalb die feierliche Grundsteinlegung für das 150 Millionen Mark teure Gebäude der drei Verbände am Mühlendamm, Ecke Breite Straße in Mitte statt.

Unbeeindruckt vom virtuellen Regierungskarussell in Bonn, brachte Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Wunsch zum Ausdruck, daß die Ansiedlung der Arbeitgeberverbände an diesem „Superstandort“ auch die Kommunikation erleichtern werde. Von den etwa fünfzig Personen, die mit Pappschildern wie „Schluß mit dem Gewerkschaftsterror!“ ganz nach amerikanischem Vorbild ihren Protest artikulierten, bekam der Kanzler freilich nichts mit. Die Demonstranten hatten sich erst eingefunden, als die Kohl-Limousine bereits durch die Absperrungen gehuscht war.

Wohlwollende Worte über den Standort Mühlendamm, aber auch die Zukunft Berlins fand auch BDI-Chef Hans-Olaf Henke. Henkel äußerte die Hoffnung, daß „der Wechsel der Spitzenverbände an die Spree auch eine Sogwirkung auf andere Bundesverbände ausüben“ werde. Erst Ende Juli hatten sechs Verbände den Wechsel nach Berlin besiegelt. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) will zusammen mit anderen Handelsverbänden sowie Vertretern des Hotel- und Gaststättengewerbes in ein 50 Millionen Mark teures Haus ziehen. Auch der Deutsche Reisebüroverband, der Deutsche Bäderverband und der Deutsche Tourismusverband haben bereits Absichtserklärungen für den Bezug des gemeinsamen Verbändehauses abgegeben.

Bereits in Bau ist der Sitz des Bundesverbandes deutscher Banken am Hackeschen Markt und des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband richtet sich in einem Gebäude in der Nähe des Gendarmenmarktes ein, ebenso der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Relativ früh kommt neben anderen der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, der laut Senatskanzlei schon Anfang 1998 seine Büroräume beziehen will.

Auf eine Hauptstadt Kreuzberg trafen Helmut Kohl und seine Wirtschaftskapitäne gestern nicht. Wohl aber auf einige Protestkapitäninnen. Die waren nämlich per Ausflugsdampfer die Spree entlanggeschippert und hatten ein Transparent entrollt. Darauf stand: „Die Ratten grüßen den Geldadel“. Die Polizei, deren Sicherheitsmaßnahmen trotz des schwergewichtigen Besuchs aus Bonn auffällig locker waren, ließ sich nicht lumpen und beschlagnahmte das Transparent ebenso wie ein weiteres, auf dem gefordert wurde: „Die Bonzen sollen die Zeche zahlen – 1.500 Mark Grundsicherung für alle“. Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen