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Lange Suche nach kräftigen Arbeitern

■ Bremer Autositzhersteller „Lear“meistert hundert Neueinstellungen nur mit Kraftakt / „Nicht einfach, Leute für Dauerarbeitsplätze zu finden“/ Ex-Vulkanesen wollten nicht in Polsterei

Wer meint, freie Arbeitsstellen seien in Bremen schnell besetzt, den belehrt der Personalchef der Bremer Lear Corporation eines Besseren. Karl-Heinz Kissel vom Bremer Autositzhersteller – zugleich Just-in-time-Lieferant für die Bremer Mercedes-Werke – ist angesichts von 15 Prozent Arbeitslosenquote über seine jüngsten Erfahrungen bei der Jobvergabe jedenfalls mehr als verwundert.

Am vergangenen Samstag schaltete er die vierte Runde Stellenanzeigen, um die letzten von über 100 neuen Arbeitsplätzen in der Fertigung von Polstersitzen für die Mercedes C-Klasse und die SLK-Sportwagen besetzen zu können. In einer Woche beginnt in den Mahndorfer Lear-Hallen, wo 450 der 550 Bremer Lear-Beschäftigten arbeiten, der Drei-Schicht-Betrieb; zeitgleich wie beim Kunden Mercedes.

Bis dahin werden auch die letzten Stellen für Ersatz- und Springerkräfte besetzt sein, seufzt Kissel. Allerdings habe er dafür „ungewöhnlich hart gekämpft“– nicht nur per klassischem Stelleninserat. Nachdem die Kontakte mit zahlreichen Arbeitsämtern auch im Umland nicht den gewünschten Erfolg brachten und ungewöhnlich viele Bewerbungsgespräche mit Absagen von Bewerbern endeten, entschied die Firmenleitung sich zur Zusammenarbeit mit Zeitarbeitsfirmen. Deren handwerklich geschickte Arbeitnehmer meisterten die mehrwöchige Anlernphase in der Polsterei erfolgreich. Damit sie auch bleiben, machte die deutsche Tochter des US-Konzerns Lear (weltweit 46.000 Beschäftigte) noch weitere Zugeständnisse: Zusätzlich zu den Festlöhnen sollen die Zeitarbeiter für Leistungen über 100 Prozent Akkordzuschläge erhalten, bestätigt Personalchef Kissel den „Leistungsanreiz“. Denn vom Lear-Gelände rollt alle paar Minuten ein LKW voller neuer Autositze, die bei Mercedes just-in-time einmontiert werden. Der durchschnittliche Stundenlohn dafür liegt bei Lear zwischen 20 und 30 Mark. „Die Leasing-Kräfte wollen wir übernehmen, wenn sie sich ,gut machen', sagt Kissel. Seit April hat er gerackert, um die neue Nachtschicht vollzukriegen.

„Unsere Arbeitsbedingungen sind gut“, sagt der Lear-Betriebsratsvorsitzende Herbert Rode: „Vermögenswirksame Leistungen, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, alles nach Tarifvertrag Metall-Unterweser“. Das neue Drei-Schicht-System bringe trotz der Arbeitszeit von 22 bis sechs Uhr sogar Vorteile. Bei einer 35-Stunden-Woche nämlich wird die Freitags-Nachtschicht beispielsweise regelmäßig flachfallen. Außerdem werden die Schichten kürzer. Im Vergleich zu den je neun Stunden, die die Arbeiter im zwei-Schicht-Betrieb abrissen, sei das neue Pensum besser durchzuhalten. Da beschönigt Rode nichts: „Die Arbeit ist wirklich hart, hart, hart.“

Doch nicht jeder, der harte Arbeit gewöhnt ist, landet bei Lear richtig. So weiß Rode von fast hundert Ex-Vulkanesen, die von der Kurzarbeiter-Auffanglösung „Mypegasus“kamen. Doch von der Hundertschaft, die auf dem Mahndorfer Firmengelände vorfuhr, blieben nur zwei. Das löste unter den Sitzbauern einiges Getuschel aus – und warf Fragen danach auf, was mit den Schiffbauern eigentlich los sei. Doch Rode hat für die ehemaligen Vegesacker Verständnis. „Unsere Arbeit, wo man sich den ganzen Tag kaum vom Fleck rührt, ist für solche Leute nichts“, sagt er. Die Männer von der Werft seien Bewegungsfreiheit gewöhnt. „Mal hundert Meter hin und her laufen, für dies und das, das kennen die. Die können mit Metall umgehen. Aber nicht mit so einem Gruppenakkord.“Es ist kein Zufall, daß die Mannschaft bei Lear fast im besten Olympioniken-Alter ist. 28 Jahre, höher liegt der Schnitt in der Autositzfertigung kaum. „Man muß kräftig sein“, sagt Rode.

Daß es in Bremen genug Interessenten für solche Jobs gibt, da ist sich wiederum der Chef des Bremer Arbeitsamtes, Christian Hawel, sicher. Warum Lear aber seit April mit der Besetzung der neuen Stellen zu tun hat, kann er sich nicht so recht erklären. „Am Volumen kann es nicht liegen“, sagt Hawel, selbst wenn Mercedes zeitgleich einstellt. Allerdings erwarteten Arbeitslose heute eine „hohe Transparenz“. Für manche sei es verwirrend, ein „bei-guter-Leistung-gibt- es-mehr“-Angebot umzusetzen. Bedauerlicherweise. „Ich sag' nämlich immer, Kinders, ihr müßt erstmal einen Fuß in die Tür kriegen.“Daß man dabei – wie bei Lear – auch mal „probearbeitet“, sei keine Ausnahme mehr. „Heute wird vieles flexibel gehandhabt.“ ede

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