: Verdünnen vergiftet
Kommission berät über Einleitung von Atommüll aus Wiederaufarbeitungsanlagen bis 2020 ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) – Die „Verdünnungsentsorgung“ radioaktiver Abfälle aus den atomaren Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague (Frankreich), Sellafield (England) und Dounreay (Schottland) vergiftet nicht mehr nur die Nordsee, sondern neuerdings auch die Atmosphäre – in der „Oslo-Paris- Kommission“ (Ospar) zum Schutz des Nordostatlantiks. Fünf Mitgliedsländer – Irland, Island, Norwegen, Dänemark und Belgien – verlangen, die routinemäßige Einleitung künstlicher Radionuklide in die Nordsee bis zum Jahr 2020 auf Null zurückzuschrauben. Die Verschmutzerländer Frankreich und Großbritannien wollen das verhindern und werden dabei von Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) unterstützt.
Der ab heute in Brüssel tagenden Ospar-Delegiertenkonferenz liegt ein von den fünf Ländern eingebrachter Zielkatalog vor, der eine kontinuierliche Reduzierung der Einleitungen und bis zum Jahr 2020 den Stopp der Verschmutzung mit Strahlenmüll fordert. Die endgültige Entscheidung fällt auf einer Ministerkonferenz der Ospar-Mitglieder im kommenden Jahr.
Hintergrund der Fünfländerinitiative ist die beständig steigende radioaktive Belastung vor allem der Küstengewässer um die Wiederaufarbeitungsanlagen und des gesamten nördlichen Atlantiks. Über 90 Prozent der gesamten radioaktiven Belastung stammen aus den drei Atomfabriken. Die Nuklide lassen sich auch in der Ostsee und der Barentsee zwischen Sibirien und der Arktis nachweisen. 1995 entdeckten Meeresforscher strahlendes Jod-129 aus der WAA Sellafield sogar in Küstengewässern Nordkanadas.
Die Bundesregierung hat bereits im Vorfeld der Konferenz angekündigt, sie werde einen eigenen Kompromißvorschlag einbringen. Deutsche Atomstromproduzenten sind die wichtigsten ausländischen Kunden der Atomfabriken in La Hague und Sellafield. Die deutsche Formulierung verlangt zwar eine „kontinuierliche Reduzierung“ der Einleitungen und Emissionen – jedoch mit einem abweichenden Ziel. Danach soll die „Strahlenexposition in der Umwelt in der Nähe der Hintergrundstrahlung liegen“, im Antrag der fünf Länder geht es um die „Konzentration“ der künstlichen radioaktiven Substanzen im Meer, die schließlich „bei Null“ liegen soll.
Zwischen beiden Vorschlägen liegen Welten: Denn in der Formulierung der fünf Mitgliedsländer dürften – nach dem Jahr 2020 – praktisch keine strahlenden Flüssigkeiten mehr in die Nordsee gespült werden. Das würde die Wiederaufarbeitung voraussichtlich so teuer machen, daß die Fabriken geschlossen werden müßten. In der Merkel-Formulierung bleibt die eingeleitete Radioaktivitätsfracht belanglos, solange das Meer die Substanzen effektiv verdünnt und eine nicht näher bestimmte Belastung nirgends überschritten wird.
Außerdem beruft sich Merkel auf die traditionell von der internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) vertretene Alara-Formel. Alara („As Low As Reasonably Achievable“) umschreibt die Forderung, daß Strahlenschutz dort seine Grenzen zu finden habe, wo sie die Wirtschaftlichkeit der Nutzung der Atomenergie in Frage stellen würde.
Eine Minimierung der Einleitungen sei wünschenswert, schreibt Merkel, jedoch „unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit“. Schließlich wehrt sich die Bundesregierung gegen die Zielfestlegung auf das Jahr 2020.
Die Auseinandersetzung innerhalb der Ospar-Kommission erhält eine pikante Note dadurch, daß alle ihre Mitgliedsländer die 1993 verabschiedete „London-Konvention“ der Vereinten Nationen ratifiziert haben. Sie verbietet die Verklappung radioaktiven Mülls in die Weltmeere. Allerdings nur von Schiffen aus. Die Einleitung der gleichen hochradioaktiven Abwässer von Land bleibt weiter erlaubt.
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