: Rune kann wieder lachen
■ Das Focke-Museum zeigt mittelalterliche archäologische Funde, die im letzten Jahr bei Ausgrabungen an der Schlachte gefunden wurden
Ein gottesgläubiger Nordländer, nennen wir ihn der Einfachheit halber Rune, den Pilger, macht sich auf den Weg. Im norwegischen Trondheim stiefelt er los, trotzt böigem Wind, rauflustigen Wikingern und großen Elchkothaufen, um schließlich in der Hansestadt Bremen an Bord eines Schiffes zu gehen. Santiago de Compostela ist Runes Ziel und, schon ganz versunken in der Frage, ob er die anstehende Schifffahrt wohl ohne Brechreiz hinter sich bringen wird, achtet Rune nicht auf seinen Weg. Ein Stolperer und schwupps – da plumpst sie ins Wasser, die gute Pilgerzeichensammlung. Jahrelang quer durch Europa gelaufen, von überall her diese kleinen Andenken mitgebracht, und nun sinken sie hinfort, geschluckt vom trüben Bremer Flußwasser. Das ist hart.
Wir wissen nicht, wie Rune diesen Verlust verkraftet hat, ja wir ahnen nicht einmal, ob die Geschichte sich damals, vor über 700 Jahren, wirklich so zugetragen hat. Aber falls doch, dann kann Runes seither verzweifelt umherirrende Seele nun in Frieden ruhen. Denn Manfred Rech hat zumindest ein kleines Pilgerzeichen wiedergefunden. Gemeinsam mit einigen anderen archäologischen Fundstücken kann Runes früherer Besitz nun im Eichenhof des Focke-Museums besichtigt werden. Gefunden haben die Stücke das Ausgrabungsteam um den Landesarchäologen Rech in einem großen Haufen Müll, den Bremens Bürgerschaft im 13. Jahrhundert in einen Seitenarm des Flusses Balge geschüttet hat. Über 50 Jahre verspotteten die BremerInnen derart jeden Recyclinggedanken, bis der Arm statt Wasser nur noch Abfall führte und die Stadt somit ungehemmten Zugang zur Weser hatte. Sinn dieser mittelalterlichen Verklappungsaktion: Die Stadt wollte aus wirtschaftlichen Gründen an der Schlachte unweit der Martinikirche einen neuen Hafen bauen, dem die Balge im Wege war.
Dieser ökologischen Sauerei verdankt Manfred Rech heute wertvolle Hinweise über das Alltagsleben Bremens im Mittelalter. In dem meterhoch aufgeschütteten Unrat fanden sich bei Ausgrabungen im letzten Jahr neben dem seltenen Pilgerzeichen auch Teile einer sonst nur im Ostseeraum genutzten bronzenen Klappwaage aus der Zeit um 1200. Mit ihr, vermutet Rech, haben reisende Wikingerkaufleute Pfeffer oder Hacksilber abgewogen. Womit nebenbei bewiesen wäre, daß uns Hägar ein sehr einseitiges Bild der Lebensgewohnheiten einer Wikingerkultur vermittelt.
Optisch weitaus unspektulärer, zeitgeschichtlich aber fast bedeutsamer sind die zahllosen, aus Rinderknochen gefertigten kleinen Kämme, die Rechs Mitarbeiter aus dem Müllberg zogen. Denn mit ihnen läßt sich belegen, daß in Bremen Handwerksberufe vertreten waren, die in keiner Urkunde erwähnt werden. Offenbar gehörten die Knochenfeinmechaniker nicht zu den gesellschaftlich geachteten Berufszweigen. Unverständlich, diese Mißachtung, denn ohne diese ehrenwerten Menschen wäre das Mittelalter heute in Erinnerung als Gesellschaft voller Vorläufer der Kelly Familiy: ungewaschen und ungekämmt. zott
Die Vitrine mit Grabungsfunden vom Bachmanngelände ist im Eichenhof am Focke-Museum bis Ende September zu sehen
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