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Beatbands, Stierblut, Freiheitsflausen

Partyleben statt Parteileben: Die DDR-Boheme, das unbekannte Wesen, lebte wild, aber wenig gefährlich im Biotop sozialistischer Unordnung. Eine Ausstellung in Berlin dokumentiert Sitten eines Nachtschattengewächses  ■ Von Gunnar Leue

„Jedes Wochenende werden der Etat überprüft und Schlußfolgerungen gezogen“ – auch das WGlertum in den Farben der DDR pflegte halt preußische Tugenden. Die 1969 von drei Havemann-Kindern und Freunden gegründete Kommune in Ost-Berlin verlangte schon etwas Ordnung mitten in der zelebrierten Unordnung. Die Monatsbeiträge waren von den Mitgliedern per Dauerauftrag aufs Girokonto einzuzahlen. Nicht wie beim West-Berliner Vorbild K1 – zu deren Chefs Langhans und Teufel anfangs sogar Kontakte bestanden –, wo die Eltern ihre Aussteigersprößlinge bezuschußten.

Geholfen hat die realsozialistische Kommunardenwirtschaft nicht. Auch im Arbeiter- und Bauernstaat endete der Versuch zur „Zerstörung der bürgerlichen Familie“ letztlich als Flop.

Daß der DDR-Mensch auf der Flucht vor der sozialistischen Persönlichkeit nicht am Ziel seiner Träume ankam, dürfte (nicht nur Westler) weniger erstaunen als die Tatsache, daß es in der DDR überhaupt solche Boheme-Projekte gab – und das sogar keineswegs nur im mystifizierten Prenzlauer Berg in Ost-Berlin, wie die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum „Bohème und Diktatur in der DDR: Gruppen, Konflikte, Quartiere. 1970 – 1989“ belegt. Sie zeigt auf rund 500 Quadratmetern Schriftstücke, aber auch jede Menge Fotos, illegale Amateurfilmaufnahmen von Privatparties und Performances, Kleidungsstücke sowie Alltagsgegenstände aus dem DDR-Aussteigerleben. All das ist das Ergebnis über zweijähriger Nachforschungen der Kunsthistoriker Paul Kaiser und Claudia Petzold.

Crazy little thing called Gruppensex

Weil beide die Ansätze ostdeutscher Subkultur schon in den 50er Jahren ausmachten – vor allem da, wo sich das Bildungsbürgertum Restnischen erhielt wie in den Kunst- und Universitätsstädten Dresden oder Leipzig –, räumen die Historiker auch gleich mit der Mär auf, die Geschichte der DDR- Alternativkultur hätte erst mit der Biermann-Ausbürgerung 1976 begonnen. Da hatte längst die Beatbewegung ihre ersten Versuchungen gestreut; in den 60ern waren ganze „Gammler“-Cliquen damit ausgelastet, „ihren“ Beatbands quer durch die Republik nachzureisen. Das wurde zwar durch die sozialistische Oberaufsicht alsbald unterbunden, aber gegen die aus Westen anrollende Hippie-Welle nützte auch der antifaschistische Schutzwall nichts. „Es brach eine richtige Sehnsucht nach Freiheit und Freizügigkeit auf. Dinge wie Gruppensex wurden ausprobiert, Toleranz im Miteinander-Umgehen geübt“, erinnert sich Peter Gläser, damals Musiker der aufmüpfigen Leipziger Gruppe Renft, deren Verbot noch 1968 eine niedergeknüppelte Protestdemo inklusive Einweisung der Fans in Arbeitslager zur Folge hatte.

Doch die neuen Freiheitsflausen waren dadurch nicht auszutreiben, was ja möglicherweise den „Freund der Jugend“ Erich H. kurz nach seiner Machtübernahme 1971 zu seinem kühnen Satz verleitete: „Wenn man von den festen Positionen des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben.“ Da hatte der Genosse Oberschlau nur nicht bedacht, daß der DDR-Untertan manche Parteiparolen auf die Goldwaage zu legen pflegte. Fortan sprossen jedenfalls viele Blüten der Alternativkultur aus dem Untergrund, besonders in den südlichen Bezirksstädten entstanden etliche Biotope der Unordnung.

Jesuslatschen on the rocks

So hatte sich Honecker seine „Weite und Vielfalt“ nicht vorgestellt. Vor allem die bildenden Künstler beförderten die Herausbildung einer intellektuellen Subkultur. So suchten im Mai 1971 vier Autodidakten in Dresden mit ihrer Gründung der Künstlergruppe Lücke eine Alternative zum offiziellen Kunstbetrieb. Der Mitbegründer A. R. Penck erklärte als Ziel der ersten unabhängigen Künstlergruppe der DDR, „neben dem Wertmaßstab Geld einen neuen Wertmaßstab setzen“ zu wollen.

Massenhaftere Resonanz als die Maler oder Literaten mit ihren Lesungen in Privatwohnungen erreichten die Musiker. In Peitz nahe Cottbus entstand ein Pilgerort für Jazz-Fans, die bei mehrtägigen Open-airs gar Woodstock-Atmosphäre aufkommen ließen. Noch bis 1989 blieb der DDR-Hippie im übrigen an seinem ewig gleichen Äußeren überall erkennbar, zog er doch stets in Jesuslatschen, Fleischerhemd und mit Hirschbeutel durch die enge sozialistische Welt.

Doch das waren eher die Alternativen „light“. Die konsequenten Wir-wollen-anders-sein-Protagonisten begnügten sich nicht mit abgehangenem Outfit, sondern verabschiedeten sich in beliebte Bohemien-Jobs wie Friedhofsgärtner oder Heizer. Zugleich entstand in den Abrißvierteln der Großstädte seit Ende der 60er eine kreative Hausbesetzerszene. Auch in der verfallenden Altstadt von Halle/ Saale fühlte man sich „als Teil der Beat-Generation“, wie der einstige Kommunarde Volker Petzold erinnert, der Kerouacs Bücher seitenweise abfotografierte. In Dresden tummelten sich gar Parapsychologen, die „Gläserrücken spielten“, während sächsische Mail-art- Künstler lieber Radtouren für Nackte organisierten. So machte jeder irgendwie sein Ding. Selbst in Prenzlauer Berg gab es keine homogene Szene, einzig das gemeinsame Feindbild stimmte. Ansonsten war die DDR-Gegenkultur – im Unterschied zum Westen – nicht sehr politisch ausgerichtet (allein ihre Existenz war Politikum genug). Zwar wurde in den ostalternativen Haushalten gleichfalls Ton Steine Scherben gehört, aber noch mehr damit gewerkelt. Töpfern oder auch das Basteln von Modeschmuck war ein häufiges Tun der Aussteiger, denen es durch den Verkauf ihrer Produkte auf Flohmärkten in den 80ern teilweise besser ging als den malochenden Mitbürgern. Nebenher entwickelten sich so privatwirtschaftliche Produktionsformen, mit denen sich der konträre Lebensstil bestens finanzieren ließ.

Den sexuellen Exzeß auf wilden Hausparties gab's ja noch umsonst, aber nicht die zugehörigen Mengen an „Cabernet“, „Stierblut“ oder (noch dröhniger als der Rote) Obstwein aus 10-Liter-Plastekanistern.

Daß die Ost-Bohemiens ihre ausufernden Sauforgien vorwiegend im privaten Freundeskreis zelebrierten, lag schlicht auch an den oft frühen Kneipenschließzeiten. Alkohol war die Ost-Droge schlechthin, und Experimente wie selbstangebauter Hasch-Ersatz aus Stieglitzfutter war die Ausnahme. Neben der Hingabe zum Rausch verband die „lose Solidar- und Notgemeinschaft“ der Bohemiens vor allem eins: der freiwillige Abschied von der DDR-Karriere und der Versuch, sich dem Kollektivdruck des Systems zu entziehen. Besonders in der 70er Dekade passierte das oft noch in einer Art Koexistenz mit der offiziellen Kultur. Nicht immer freiwillig wie 1977 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), wo die Künstlergruppe Clara Mosch eine private Produzentengalerie eröffnete und auf Druck der Funktionäre mit einem „gesellschaftlichen Partner“, dem Kulturbund, zusammenarbeiten mußte, um das übliche Verbot abzuwenden. Die Stasi hatte trotzdem 121 wache IM-Augenpaare auf die Moschisten geworfen, die sich nicht zuletzt aufgrund der gesteuerten Zersetzung trennten.

Aber nicht nur die Stasi widmete den Randgesellen des Sozialismus viel Aufmerksamkeit, auch der Klassenfeind. Wobei es wohl einer der größten Treppenwitze der jüngeren deutschen Geschichte ist, daß ausgerechnet die Repräsentanten eines Staates, der mit den eigenen Hausbesetzern und Systemverweigerern wenig am Hut hatte, die Subkultur im Osten förderten. Nicht nur, daß zu den Empfängen in der Ost-Berliner Ständigen Vertretung der BRD stets die Subkulturellen miteingeladen wurden. Auch in den Dienstwohnungen der Mitarbeiter entwickelte sich ein reger privater deutsch-deutscher Kulturaustausch. Der westliche Kulturbetrieb stand dem nicht nach und ließ auf der Leipziger Buchmesse ungeniert Literaten – für ihre Vorlesungen in Wohnungen oder zur Verbreitung in illegalen Zeitschriften – ganze Lyrikbände abschreiben (häufiger wurden die Besucher freilich beim Bücherklau beobachtet).

Die Dekadenz der Bluesmesse

Andererseits beförderte der Westen die Ausdünnung der östlichen Alternativszene, indem er zum endgültigen Fluchtort vieler Bohemiens wurde. Den Rest besorgte die Integration. Vor allem die Punkbands drängten Mitte der 80er Jahre verstärkt an die Oberfläche (teilweise zum Preis von Namensänderungen). Die staatlichen Jugendklubs überließen das Terrain nicht mehr nur der Kirche, die Ende der 70er ihre Pforten für Ausstellungen, Konzerte und Bluesmessen geöffnet hatte.

Trotz massiven Einsatzes von Stasispitzeln (zwischen fünf und zehn Prozent in der Subkulturszene) sehen die Historiker die Ost-Boheme keineswegs als vom MfS ferngesteuert, weshalb sie auch das Biermann-Verdikt über die „spätdadaistischen Gartenzwerge mit Bleistift und Pinsel“ im „Schrebergarten der Stasi“ ablehnen. Die reale Bedeutung der Subkultur Ost läge weniger in der kollektivistisch formierten Anti-Haltung, als im massenhaften individuellen Ausstieg aus der Gesellschaft.

Diese „öffentliche Demonstration anderer Lebensformen“ zerstörte das System, das ja letztlich auf den aktiven Mitstreiter für die Sache des Sozialismus setzte und keinen auf dem Weg in die glorreiche Zukunft zurücklassen wollte. Daß und wie manche jedoch die Dekadenz vorzogen, läßt diesmal tatsächlich den Schluß zu: Es war nicht alles schlecht in der DDR.

Deutsches Historisches Museum Berlin, bis 16. Dezember. Im Fannei & Walz Verlag erscheint das Begleitbuch „Bohème und Diktatur in der DDR“, 78 DM.

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