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■ Filmstarts à la carteDie mörderische Martha

Einen besonderen Nervenkitzel scheint sich das Kinopublikum stets von jenen verfilmten Verbrechen zu versprechen, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Erst im letzten Jahr machten sich die Coen-Brüder mit dieser Erwartungshaltung einen Scherz, als sie in „Fargo“ wahrheitswidrig die Wahrhaftigkeit ihrer Mordgeschichte behaupteten. Doch auch die echten Serienmörder kommen im Kino natürlich immer wieder zum Zuge. Wie etwa jene „Honeymoon Killers“, die das Checkpoint in der kommenden Woche auf die Menschheit losläßt.

Der einzige Film des Opernkomponisten Leonard Kastle bringt uns in harschem, kontrastreichem Schwarzweiß ein Pärchen näher, das Ende der vierziger Jahre die Vereinigten Staaten unsicher machte: Ray, die Karikatur eines Macho-Latinos, verdient seinen Lebensunterhalt als Heiratsschwindler und trifft in dieser Eigenschaft auf die vollschlanke Krankenschwester Martha, die ihre Defizite im emotionalen Bereich bislang durch unmäßigen Pralinengenuß zu kompensieren suchte.

Da Martha auch nach Erkennen der ganzen Wahrheit nicht von dem geliebten Mann lassen kann, wird sie zur Komplizin – deren nicht ganz unbegründete Eifersucht jedoch von nun an immer unangenehmere und groteskere Situationen heraufbeschwört, die so manche ehewillige Dame das Leben kostet. Der 1969 als kleine unabhängige Produktion entstandene Film erweist sich vor allem als bitterböse Satire auf amerikanische Moralvorstellungen, in der die Opfer um keinen Deut sympathischer erscheinen als das Killer- Pärchen.

Da gibt es: die Schwangere, die dringend einen Ehemann benötigt, um sich wieder mit ihren reichen Eltern versöhnen zu können, die geizige Alte, die mit Inbrunst kitschige Heiligenbilder anbetet, oder auch die Superpatriotin, die mit ihrem Töchterchen die Geburtstage längst verstorbener US- Präsidenten feiert. Doch von der mörderischen Martha unterscheiden sich die scheinbar so ehrbaren Damen nur graduell, nicht prinzipiell: Auch sie schenken dem ersten besten Gigolo Gunst und Geld und erweisen sich durchweg als wahre Sexfurien.

4.–10.9. im Checkpoint

Für wahre Geschichten interessierte sich Alfred Hitchcock hingegen kaum, und auch mit der Plausibilität seiner Filmplots nahm es der Regisseur nicht allzu genau. Lieber lenkte der Meister des Suspense die Emotionen seines Publikums in die von ihm gewünschte Richtung. Auch in der britischen Produktion „Die 39 Stufen“ aus dem Jahre 1935 gelang es ihm überzeugend, obwohl das Drehbuch gewisse Ähnlichkeiten mit einem Schweizer Käse nicht verleugnen kann: Warum nur ermorden die feindlichen Spione in Richard Hannays Wohnung die gegnerische Agentin, lassen jedoch den Wohnungsinhaber ungeschoren – um ihn dann doch den ganzen Film hindurch zu verfolgen? Und weshalb kann Hannay – außen an einem fahrenden Zug entlangkletternd – schneller das Nachbarabteil erreichen als der ihn verfolgende Inspektor, der nur einen einzigen Schritt machen muß? Machen Sie sich einmal den Spaß und zählen Sie die vielen Ungereimtheiten – falls diese Ihnen bei den rasanten Übergängen von einer spannenden Situation zur nächsten und vor lauter Mitbibbern um den unschuldig verfolgten Hannay überhaupt auffallen.

4.–10.9. in den Tilsiter Lichtspielen

Lars Penning

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