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Ärzte- und Engelmacherlobby gegen legalen Abort

■ Neue Abtreibungsdebatte in Brasilien vor dem Papstbesuch im Oktober

Rio de Janeiro (taz) – Renata S., schwarze Hausangestellte in Salvador de Bahia, entgeht der ersten Vergewaltigung nur knapp – auf dem dunklen Weg zur Slumhütte packt sie ein Mann, reißt ihr sämtliche Sachen vom Körper, schneidet ihr ins Gesicht. Sie stößt ihn weg, kann davonrennen.

Monate später klopft jemand nachts an die Tür ihrer Hütte, wo die Witwe allein mit ihren Kindern lebt, gibt sich als Schwager aus, zwingt sie dann mit vorgehaltenem Revolver sich hinzuknien, vergewaltigt die 27jährige sadistisch – ihre drei kleinen Söhne müssen zusehen. Traumatisiert, mit entsetzlichen Schmerzen, bleibt die Frau einen Tag der Arbeit fern, wird von der weißen Mittelschichtsfamilie sofort gefeuert. Wochen später weiß Renata, daß sie schwanger ist.

Vergewaltigung gehört in ganz Brasilien zum Slumalltag, Abtreibung ebenfalls. Theoretisch könnten Renata und ihre Leidensgenossinnen zum nächsten öffentlichen Hospital gehen, denn seit immerhin 57 Jahren steht im Gesetzbuch, daß dort im Falle einer Vergewaltigung oder bei hohem Lebensrisiko der Schwangeren eine Abtreibung vorgenommen werden muß. De facto wird der Paragraph bis heute fast ausnahmslos ignoriert – Renata bleibt nur eine Kellerklinik in Salvadors Altstadt: Im Wartezimmer sitzen Minderjährige, einige erst zehn oder zwölf.

Ausgerechnet vor dem Papstbesuch im Oktober streiten derzeit Minister, Abgeordnete, Kardinäle und Frauenrechtlerinnen darum, ob die weibliche Hälfte der 160 Millionen Brasilianer endlich auch wirklich das 57 Jahre alte Gesetz in Anspruch nehmen kann. Zwei Abgeordnete der linkssozialdemokratischen PT, die in der Abtreibungsfrage tief gespalten ist, wollen das Drama der Unterschichtsfrauen beenden und brachten eine entsprechende Vorlage in der zuständigen Parlamentskommission ein. Es kam zum Eklat, lautstark wurden die Befürworter vor wenigen Tagen als blutrünstige Mörder beschimpft. Äußerst knapp, mit nur einer Stimme Mehrheit, kam die Vorlage durch und müßte jetzt Abgeordnetenhaus und Senat passieren – was Jahre dauern kann.

Staatschef Fernando Henrique Cardoso hatte in seinem Wahlprogramm von 1994 versprochen, alle Hospitäler zu verpflichten, Abbrüche gemäß der gesetzlichen Grundlage auch durchzuführen. Vorbei: Heute hält sich der Präsident bedeckt, will es weder mit dem Papst, den Bischöfen oder den rechten Mitgliedern seines Regierungsbündnisses verderben.

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist Brasilien Rekordhalter in Sachen illegaler Abtreibung: Jährlich lassen bis zu vier Millionen Frauen einen Abbruch vornehmen – auf den wenigstens theoretisch bis zu drei Jahre Haft stehen. Mindestens 10.000 davon bezahlen dies mit dem Leben, etwa 300.000 erleiden schwere gesundheitliche Dauerschäden. Frauen der brasilianischen Mittel- oder Oberschicht gehen in modern ausgestattete Privatkliniken, bezahlen dafür derzeit zwischen 400 und 5.000 Dollar, unbehelligt von Kirche oder Polizei. Die Abtreibungsärzte häufen auf diese Weise Riesenvermögen an – und das, so weiß die Ärztelobby, wäre jäh vorbei, wenn die öffentlichen Krankenhäuser Abbrüche vornehmen dürften. Patricia Sholl

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