: Wissensvernichtung statt Wissenschaft
■ Der Wissenschaftsstandort Berlin kürzt sich den Nachwuchs weg: Im Haushalt 1998 soll die Hälfte der Promotionsstipendien wegfallen. Universitäten befürchten „Abwärtsspirale“ und längere Studienzeiten
Das Land Berlin kürzt sich bei Wissenschaft und Forschung seine Zukunft kaputt. Für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses wird immer weniger Geld bereitgestellt und die Universitäten befürchten eine „Abwärtsspirale“. Nachdem bereits in den vergangenen Jahren die Finanzierung von Promotionsstipendien gekürzt wurde, ist ihre Zahl im Anfang dieser Woche verabschiedeten Haushalt 1998 noch einmal auf die Hälfte reduziert worden. Damit können an den Berliner Universitäten insgesamt nur noch etwa 70 Promotionsstipendien nach dem Nachwuchsförderungsgesetz (Nafög) vergeben werden. Nafög-Stipendiaten erhalten zwei Jahre lang monatlich 1.400 Mark, um ihre Doktorarbeit zu erstellen.
Zwar sollen die Nafög-Mittel nur um 900.000 Mark auf 4,2 Millionen Mark gekürzt werden. Da aber ein Großteil der Mittel für bereits vergebene oder laufende Stipendien eingeplant ist, müsse eine von bisher zwei jährlichen Vergaberunden ausfallen, kritisiert Peter Steinbach, Vorsitzender der Nafög-Vergabekommission an der Freien Universität. In guten Zeiten, so Steinbach, seien bis zu 200 Stipendien pro Jahr vergeben worden. Schon Anfang dieses Jahres fielen 70 Stipendien der damaligen Haushaltssperre zum Opfer. Steinbach befürchtet nun eine Entwicklung zum Negativen. Da nun keine neuen Stipendien vergeben werden könnten, würden später Nachwuchsforscher fehlen, die die Gelder von ausgelaufenen Stipendien übernehmen würden. Diese könnten dann der anhaltenden Sparwut zum Opfer fallen.
Nafög-Gelder zählen nicht zum Unihaushalt. Genau hierin liegt das Problem. Bei den Universitäten seien nach Abschluß der Hochschulverträge keine weiteren Einschnitte möglich, so Kerstin Schneider, Sprecherin der Wissenschaftsverwaltung. Große Forschungsprojekte seien meist an eine Bundesförderung gekoppelt, so daß Einsparungen hier doppelt zu Buche schlagen würden. „So bleiben nur wenige Positionen, in denen die Sparvorgaben des Senats erbracht werden könnten“, bedauert Schneider. Es habe sogar den Vorschlag gegeben, Nafög ganz zu streichen.
Für Nachwuchsforscher kann das kein Trost sein. Die früher übliche Einbindung der Doktoranden in den Hochschulbetrieb als Assistenten der Professoren ist durch jahrelange Einsparungen ebenfalls fast vollständig verschwunden. An der FU werden nach dreijährigem Stellenstopp erst seit Jahresbeginn wieder Assistentenstellen vergeben, so Steinbach. Allerdings nur mit halber Stundenzahl. So bleibt außer den meist parteiengebundenen Stiftungsstipenden nur noch die Selbstfinanzierung der Doktorarbeit durch andere Jobs. „Das verlängert die Ausbildungsdauer“, kritisiert Anselm Lange, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen. Für ihn ist die Nafög-Kürzung ein Zeichen von falschen Prioritäten. Die Bedeutung der Wissenschaft für den Strukturwandel der Stadt, so Lange, werde kaum begriffen. Gereon Asmuth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen