■ Höge im Oderbruch: Die Katastrophe als Reiseziel
Helmut Höge, anarchistischer Journalist des Alltags und beliebter taz-Autor, durchstreift im Sommer unsere schöne Republik und sucht auf seiner Nord-Süd- West-Ost-Tour Dokumente deutscher Lebenskunst.
Zwei Soldaten in olivgrünen Uniformen reiten fröhlich mit drei Mädchen auf einem wie verbrannt wirkenden Kornfeld in den Sonnenuntergang. Das glaubt uns zu Hause keiner, meint Dorothee. Doch auch der Oderbruch-Spiegel berichtet, daß „die Herzlichkeit der Bevölkerung, und nicht nur der weiblichen, bleibenden Eindruck“ auf die bei der Flutkatastrophe eingesetzten Bundeswehrsoldaten gemacht habe.
An vielen Häusern bedankt man sich mit einem Pappschild; in der naßgewordenen Kneipe „Pflaumenbaum“ in Frankfurt (Oder) sammeln sie Bundeswehrjacken als Andenken.
Das trockengelegte Oderbruch, dieses preußische Neuland, sieht dem ostfriesischen sehr ähnlich, nur daß hier viele der großen alleinstehenden Höfe seit 1945 verfallen sind. „Das Oderbruch war das größte Schlachtfeld des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden“, heißt es im Museum. Kein Wunder, daß alte Einheimische die Schilderung der Überschwemmung und der Bundeswehrhilfe bruchlos mit Geschichten von 1945 und der „Roten Flut“ verbinden.
Im Ort Hohenwutzen wurden die Bewohner 1945 zunächst von der Roten Armee mit Aufräumarbeiten und Leichenbergung beschäftigt: „Das war wie ABM.“ Seit der Wende verdingen sich umgekehrt viele Polen als landwirtschaftliche Saisonarbeiter im Oderbruch. Viele Betriebe klagen, daß diese, da zu Hause von der Flut betroffen, plötzlich wegblieben.
1.300 polnische Dörfer wurden überflutet, aber nur drei deutsche: in der Ziltendorfer Niederung — die jetzt von einer Spendenflut heimgesucht wird. Auch die Versicherungen lassen sich nicht lumpen und helfen „unbürokratisch“, was sie mit großen Plakaten an den Zäunen kundtun.
In der überfluteten Niederung stinkt es, Möven und Reiher suchen die Äcker nach zurückgebliebenen Fischen ab.
Überall werden „Danke- schön-Feten“ für die Helfer organisiert. Das Fest im polnischen Slubice bezog gar die Brücke nach Frankfurt (Oder) mit ein und endete mit einem Feuerwerk. In Groß-Neuendorf versammelten sich deutsche und polnische Bildhauer zu einem Symposium: „unter dem Eindruck der Jahrhundertflut im Oderbruch“. Zwei Bildbände liegen bereits auf den Tresen: „Rettung des Oderbruchs“ und „Die Flut“. Einige TV-Sender annoncieren Vorortvorführungen von Zusammenschnitten ihrer Flut-Berichterstattung.
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