: „Ein Leben nach dem Abitur?“
■ Diskussion über die Shell-Jugendstudie: Viel Analyse, aber keine Ideen
Auch wenn es Jugendlichen nicht so vorkommt: Ihre Sorgen interessieren durchaus noch Politiker und Lehrer. Am Montag abend hatte die grüne Bürgerschaftsfraktion den Frankfurter Arthur Fischer, Autor der Shell-Studie „Jugend –97“, unter der Überschrift „Geschlossene Gesellschaft?“zum Vortrag geladen.
Die Frage, ob Jugendliche überhaupt noch ein Chance erhalten, heute in die Gesellschaft der Erwachsenen reinzukommen, stieß auf überraschend großes Interesse. Mehr als 300 Menschen drängelten sich im Lichthof des Überseemuseums. Grüne Parteibasis, Lehrer und Pädagogen zumeist, aber wohl jeder Fünfte war tatsächlich unter 20.
Was der Studie nach den 12- bis 24jährigen Kummer bereitet, konnte Fischer schlüssig erklären. Sein Befund: „Es gibt keine Jugendprobleme, sondern nur welche, die die Gesellschaft hat. Und die allgemeine gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht.“Soll heißen: Während früher der Lebensabschnitt Jugend eine Schutzzone zum Heranreifen war, sind die Kids von heute mit Erwachsenenproblemen konfrontiert. Vor allem mit der Angst vor Arbeitslosigkeit. Schon früh seien, so Jugendforscher Fischer, die Biographien von Zukunftsangst geprägt. Seiner Auffassung nach läuft die immer größere Perspektivenlosigkeit tatsächlich auf die „Geschlossene Gesellschaft“hinaus, in die Jugendliche zum Teil gar nicht mehr hineinkämen. Die Folgen: Die Kids haben keinen Bock auf Erwachsenen-Gesellschaft. Eine Schülerzeitung aus Rostock diskutiere deshalb unter dem Titel „Gibt es ein Leben nachdem Abitur?“, ob man nicht extra sitzen bleiben sollte, weil eh nur die Stütze wartet. Fischer: „Daß der Kapitalismus keine Antworten auf die Krise hat, ist den Jugendlichen also durchaus bewußt.“Die Folgen bei den Jugendlichen: Desorientierung und Entpolitisierung.
Was aber dagegen oder gegen Jugendarbeitslosigkeit getan werden könnte, kam nicht zur Sprache. Statt dessen waren bei der anschließenden Diskussion die Großen - auch Autor Fischer - vor allem mit sich selbst beschäftigt. Kostprobe: Die Frage, ob Jugendliche denn überhaupt noch Utopien hätten.
Kein Wunder, daß die, um die es ging, den Pädagogen-Schnack nicht bis zum Ende verfolgten. Früh machte sich Schüler Heiko, 18, samt vier Freunden aus dem Staub: „Mir wurde da zu viel um den heißen Brei herum geredet.“Und Christian, 20, ergänzt: „Interessant war das schon, aber ich hatte gehofft, daß da jemand Lösungen aufzeigt. Aber nicht mal Ideen habe ich da gehört.“Besonders einen Satz von Fischer haben sie aber im Ohr behalten: „Jugendliche gehen in die Politik, wenn sich nichts Sinnvolles ergibt.“Und dabei wird es, trotz viel guten Willens, wohl erstmal bleiben. L. R.
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