: Georgische Ansichten
■ Krisenherd Georgien: Der georgische Journalist Iwane Merabischwili sprach mit drei seiner Mitbürger über Herkunft, Religion und die Probleme in der Region
Wladimir Karapetjan (34) ist Unteroffizier in einer russischen Einheit, die an der türkischen Grenze mit Georgien und Armenien stationiert ist.
Iwane Merabischwili: Als georgischer Bürger armenischer Abstammung und Soldat der russischen Armee – geraten Sie da nicht in Loyalitätskonflikte?
Wladimir Karapetjan: Nein, nein ... Die russischen Grenztruppen bewachen nur eine Grenze: die der GUS. Die Verteidigungsbereitschaft gegenüber einem islamischen Angriff ist im Interesse aller drei Nationen: Armenier, Georgier und Russen. Man muß außerdem bedenken, daß die Türkei Mitglied der Nato ist, das heißt, einer allein könnte einen Angriff nicht abwehren.
Die Vorstellung einer Verteidigung vor der islamischen Welt durch die GUS-Staaten hört sich für mich etwas merkwürdig an. Immerhin gibt es in der GUS mehrere islamische Staaten. Ein Drittel der russischen Bevölkerung sind selbst Muslime. Und Rußland hat ganz gute Beziehungen zu einigen islamischen Staaten, etwa zum Iran.
Armenier und Georgier sollten sich der Vorteile bewußt sein, die die Stationierung russischer Truppen im Kaukasus für sie bedeutet. Die Geschichte lehrt, daß die christlichen Völker Armeniens und Georgiens immer unter der islamischen Welt zu leiden hatten.
Tatsache ist doch, daß Georgien eine strategische Partnerschaft sowohl mit der Türkei als auch Armenien und Aserbaidschan eingegangen ist. Außerdem ist ein Teil Georgiens auch muslimisch. Ich möchte bezweifeln, daß Georgien sich mit dem Islam anlegen will.
Das ist Georgiens Fehler. Georgien verrät seine eigene historische Tradition. Eine Konfrontation mit Rußland wird zu nichts führen. Im Gegenteil: deshalb hat Georgien Abchasien und Ossetien verloren. Georgien wird nie Mitglied der Nato, das bilden die Georgier sich nur gerne ein. Die Nato braucht Georgien nicht – und außerdem würde Rußland das nie erlauben. Der Abzug russischer Truppen aus diesem Land wäre wirklich eine Tragödie. Ich hoffe, daß das nicht passiert. Wenn die Russen aus Georgien und Armenien abzögen, würden beide Länder bald von der Landkarte verschwinden.
Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft? Glauben Sie, daß Sie im Jahre 2010 Bürger eines der Staaten – Georgien, Armenien oder Rußland – sein werden oder GUS- Bürger oder gar Bürger der Europäischen Union?
Das ist eine schwierige Frage. Manchmal denke ich darüber nach, aber eine Antwort habe ich nicht. Vielleicht auswandern. Wenn die russischen Truppen aus Akhalkalaki abgezogen würden, würde ich meine Arbeit verlieren. Es ist nicht so leicht, hier seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dann würden wir vielleicht nach Rußland gehen. Man kriegt da leichter Arbeit und kann leichter eine Familie ernähren.
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Alsan Beridze (47) ist georgischer Muslim aus Adjaria. 1989 erhielt er nach einer Erdrutschkatastrophe im oberen Adjaria staatliche Hilfen, um sich zusammen mit mehreren anderen hundert Familien in Jawakheti anzusiedeln.
Iwane Merabischwili: Sie kamen 1989 aus Adjaria. Aber Sie leben hier nicht das ganze Jahr.
Alsan Berizde: Im Winter bin ich meistens in Adjaria. Wo wir gerade sind, das hängt vom Wetter ab. Der Erdrutsch hat viel Land zerstört und bedroht bis heute unsere Häuser. Obwohl wir hier in Jawakheti sieben oder acht Jahre lang gelebt haben, verlieren wir nicht den Kontakt nach zu Hause. Der Winter ist sehr hart hier für uns – überhaupt ist es hart hier. Es gibt zwar mehr anbaufähiges Land, aber keine Bäume. Es ist Bergland, und man kann nur Weizen und Kartoffeln anbauen. Wenn wir uns nichts aus unseren alten Gemüsegärten in Adjaria holen könnten, müßten wir den Rest kaufen.
Ich entschuldige mich gleich für die nächste Frage, aber dies ist ein Interview für europäische Leser. Sie sind Georgier und Muslim. Traditionell hält man Georgier aber für Christen.
Ich bin Muslim und erziehe auch meine Kinder zu Muslimen. Mein Vater und Großvater waren Muslime, und auch die meisten meiner Verwandten und Freunde sind es. Aber ich bin genausogut Georgier wie jeder andere. Es gibt einige Millionen Georgier in der Türkei, und auch sie sind Muslime. Mit christlichen Freunden habe ich mich nie unwohl gefühlt. Es gibt ein schönes georgisches Sprichwort: „Sei ein guter Mensch und bete, wo es dir gefällt.“
Der Großteil der Bevölkerung in Jawakheti ist armenisch. Zur Zeit befinden sich die Armenier im Konflikt mit Aserbaidschan um Nagorny Karabach. Armenier denken oft negativ über die Leute aus Adjarian und halten sie für Türkenfreunde. Spüren Sie so eine Haltung bei Ihren Nachbarn?
Manchmal. Aber ein wahrer Armenier wird sich – wie jeder Mensch – wenig um Glauben und Nationalität kümmern. Wir haben in der Sowjetunion jahrzehntelang friedlich zusammengelebt. Solche Konflikte sind nur gut für Politiker und Geschäftsleute. Sie beweisen damit irgendwas oder verdienen viel Geld dadurch. Ich glaube, daß der Konflikt bald gelöst sein wird und wir wie früher in Frieden miteinander leben können.
Glauben Sie, daß die Konflikte ihren Grund im Zusammenbruch der Sowjetunion haben?
Vielleicht. In der sowjetischen Zeit herrschten Ordnung und Disziplin. Der Staat ließ ethnische Diskriminierung nicht zu. Wir waren alle gleich, alles war in Ordnung.
Sollte die Sowjetunion also wiederhergestellt werden?
Die Leute, die an der Macht sind, haben keinen Vorteil vom Frieden. Sie verdienen an der jetziigen Situation. Die GUS ändert daran nicht das geringste. Die Leute, die heute an der Macht sind, denken nicht in Kategorien der Menschlichkeit. Und außerdem begann der Konflikt in Rußland selbst. Den russischen Politikern macht es nicht das geringste aus, Tausende von Tschetschenen umzubringen. Wir haben keine Chance, irgend etwas zu erreichen, wenn wir nicht kapieren, daß wir in erster Linie Frieden brauchen.
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Martiros Sapondsjan (38) ist Armenier und lebt in der Region von Akhaltsikhsky.
Iwane Merabischwili: Wie würden Sie die Situation in Georgien heute beschreiben?
Martiros Sapondsjan: Das Leben wird besser. Vor zwei Jahren noch war es viel härter. Nostalgische Erinnerungen an den Kommunismus und die Sowjetzeit sind beliebt geworden, aber die Menschen mußten auch damals arbeiten. Der Staat half jedem oder jedem, der darum bat. Die Leute haben sich daran gewöhnt, sich möglichst nicht zu überarbeiten – und jetzt jammern sie, daß das Leben hart ist. Die Sowjetunion ist deshalb zusammengebrochen, weil sie jedem geholfen hat, einschließlich ausländischen Staaten.
Fühlen Sie sich als vollwertiger Bürger Georgiens?
Warum nicht? Meine Vorfahren haben hier schon gelebt, und ich hoffe, daß auch meine Kinder hier leben werden. Ich bin Armenier, und Armenien ist mir wichtig, aber mein Land ist Georgien. Alle meine Freunde und Verwandten leben hier, ich bin hier zur Schule gegangen, ich kenne die georgische Sprache und Kultur besser als die armenische.
Es könnten sich Situationen entwickeln, in denen georgische und armenische Interessen kollidieren. So tendiert Georgien mehr zur Kooperation mit dem Westen, Armenien orientiert sich an Rußland. Und Armenien hat Konflikte mit Aserbaidschan, während Georgien enge Beziehungen mit Aserbaidschan aufbaut.
Ich habe meine eigene Meinung über diesen Nagorny-Karabach- Konflikt. Als der Krieg auf dem Höhepunkt war, fanden Freunde, ich sollte mich melden, und ich habe ihnen gesagt: „Ich war nie in meinem Leben in Karabach und werde vermutlich auch nie hinkommen. Ich weiß, daß die Armenier und Aserbaidschaner von Karabach sehr gut zusammengelebt haben. Es gibt viele Mischehen. Warum soll ich also losgehen und Männer umbringen, die bis gestern noch von jedem Karabach-Armenier als gute Männer für ihre Töchter angesehen wurden?“ Viele Leute waren da anderer Meinung und gingen los, um mitzukämpfen. Sie sind nie wiedergekommen, und ihre Kinder sind Waisen. Und wofür? Karabach ist unter armenischer Kontrolle – na und? Für wie lange? Die Aserbaidschaner werden Kräfte sammeln und wieder Krieg anfangen, und so wird das immer weitergehen. Heutzutage gewinnt keiner mehr einen Krieg.
Wenn die Regierung von Georgien Sie zum Kampf gegen einen „Feind“ einziehen würde, würden Sie da dasselbe sagen?
Im Prinzip ja. Ich würde nur zur Waffe greifen, wenn meine Familie in Gefahr ist oder dieser „Feind“ meine Freunde bedroht. Dann würde ich kämpfen. Aber ich fände es eigentlich schrecklich.
Ehrengarde für Bürgerkriegsgefallene Foto: Jan Banning/laif
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