Toleranz steigt über Null

Kriminalitätsbekämpfung: Statt kleine Ladendiebe zu verfolgen, will Justizsenator Hoffmann-Riem lieber „dicke Fische“fangen  ■ Von Elke Spanner

Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) und seine christdemokratischen Gesinnungsgenossen in Sachen „Innere Sicherheit“suchen die Lösung für Hamburgs Justizkrise im fernen New York und mahnen „null Toleranz“gegenüber Straftaten an. Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem (parteilos) hingegen blickt über den nächstgelegenen Gartenzaun. Nach einer Holland-Reise steuerte er gestern gegen „das Gekanthere und Geschrödere“: Statt „null Toleranz“fordert der Parteilose „mehr Toleranz“. Das Legalitätsprinzip, wonach die Polizei verpflichtet sei, alle Straftaten zu verfolgen, solle aufgehoben werden.

Im Grunde will Hoffmann-Riem damit nicht viel mehr tun, als der Realität Rechnung zu tragen. Denn schon jetzt werden Bagatelldelikte in der Regel nicht bis in den Gerichtssaal hinein verfolgt. Wer erstmals beim Schwarzfahren ertappt oder beim Diebstahl eines Buches erwischt wird, landet nicht vor dem Kadi. Dem gegenüber steht jedoch die Verpflichtung der Polizei, alle noch so kleinen Verstöße zu verfolgen – was erheblichen Verwal-tungsaufwand verursacht.

Würden die Ermittler von dieser Pflicht befreit, so der Justizsenator, hätten sie Kapazitäten frei für die „wirklich dicken Fische“. Effektiv könnte dann die Kriminalität bekämpft werden, die in der Bevölkerung Ängste hervorruft und „wirklich sanktionswürdig ist“: Raub, Erpressung und Körperverletzung beispielsweise.

Um auch die Staatsanwälte zu entlasten, sollte die Polizei bei leichten Straftaten das Verfahren selbst abschließen können. Justizsprecherin Irene Lamb hat aus eigener Erfahrung ein Beispiel parat: „Nachdem mir das Portemonnaie gestohlen wurde, kam eine Einstellungsverfügung von der Staatsanwaltschaft. Warum muß die dafür extra eingeschaltet werden?“

Dem derzeitigen Ruf nach härteren Strafen setzt der Justizsenator die Forderung nach einer breiteren Sanktionspalette entgegen. Zur Freiheitsstrafe müsse es mehr Alternativen geben, sagte er, bestätigt durch seine Beobachtungen in Holland: Dort können Täter statt zu Knast auch zu gemeinnütziger Arbeit verdonnert werden – was in Deutschland nur im Jugendstrafrecht möglich ist.

„Prävention ist besser als Repression“, betont Hoffmann-Riem. „Die Strafe allein bessert fast niemanden, es sei denn, die Lebensumstände werden gleichzeitig verändert“.