: Blumenblüten ohne Etikett
■ Nützliche Insekten in ökologischer Pflanzenzucht Von Heike Haarhoff
Sonntag mittag, Blumenstand Hauptbahnhof. Tulpen, Maiglöckchen und Nelken haben gar keine Zeit zu verwelken: Im Eiltempo werden sie zu Sträußen gesteckt. Die ganz perfekten Kinder erwerben noch schnell ein knatschrotes Herzchen am Drahtstiel Für meine Mutti. „Das macht sich doch ganz reizend in so einem bunten Sommerstrauß“, lügt ein Verkäufer. Aber die meisten LangschläferInnen, die den Muttertag auch dieses Jahr fast verpennt hätten, bleibt für solche Nebensächlichkeiten sowieso keine Zeit. Eiligen Schrittes hasten sie zur elterlichen Wohnung, wo Mutti gerade drei Kilo Spargel geschält hat.
Diese Zeitnot ist Arno Albers unverständlich. Er hat sich schon das ganze Jahr auf diesen Sonntag im Mai gefreut, denn da macht er erfahrungsgemäß den höchsten Umsatz. „Ist noch besser als Weihnachten und Ostern“, hat der Besitzer eines Zierpflanzenbaubetriebs aus den Vierlanden ausgerechnet. Sehr gefragt waren Vergißmeinnicht, Primeln und Maiblumen. „Nelken waren out, wahrscheinlich haben sich die Leute daran satt gesehen“, deutet der Gärtner das KäuferInnen-Verhalten.
Der Geschmack der BlumenfreundInnen hat sich auch auf einem anderen Gebiet gewandelt: Berichte von Verbraucher-Zentralen und Umweltschutzverbänden über die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in Schnittblumen-Export-Ländern wie Kolumbien und Kenia haben dazu beigetragen, daß Blumen nicht mehr nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch aufgrund ihrer Herkunft gekauft werden. Auch Hans Peter Cornils, Präsident des Gartenbauverbands Nord, und sogar die Hamburger Wirtschaftsbehörde empfehlen – wenn auch vermutlich aus anderen Gründen –, auf einheimische Ware auszuweichen.
Zwar konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden, ob und wie mit Insektiziden behandelte Blumen die menschliche Gesundheit beeinträchtigen, aber immer mehr Betriebe gehen dazu über, auf Chemikalien zu verzichten. „Einige Kulturen brauchen gar keine Schädlingsbekämpfungsmittel, weil ihr Saft natürliche Abwehrstoffe enthält“, erklärt Hans Albers. Er selbst setzt Nützlinge – das sind „räuberische“ Tiere wie Marienkäfer, Schlupfwespen und Florfliegen – gegen Blattläuse und sonstige Blattfresser ein.
Zwölf Firmen in der Bundesrepublik betreiben eigene Nützlings-Züchtungen, deren Larven und Eier an die Gärtnereien geliefert werden und dort auf Jagd gehen. Die sechsbeinigen Räuber sind schlau: Sie achten darauf, daß stets einige Schädlinge überleben und sich fortpflanzen. Auf diese Weise sichern sie ihren eigenen Nahrungsbedarf. Bedroht werden die Nützlinge, wenn Funghizide zur Pilzbekämpfung gesprüht werden. „Da muß man aufpassen, welches Pflanzengift ungefährlich für die Tiere ist“, sagt Cornils. Marienkäfer sind leider nur in der Lage, tierische Schädlinge zu vertilgen.
Die Pflanzenzucht ohne Chemikalien ist drei- bis viermal so teuer wie die herkömmliche. „Da aber lange Transportwege entfallen, wirken sich diese Kosten kaum auf den Verkaufspreis aus“, sagt Albers. Schwierig ist, verläßlich festzustellen, ob die Blumen naturbelassen sind: „Da hilft nur fragen. Schließlich können wir nicht jede Blüte mit einem Etikett versehen.“
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