: Kultur auf abgelegenen Wegen
■ Mit einem Festival versucht die Ile de France alljährlich TouristInnen zu locken
Wer kennt schon die Ile de France? Die Großregion rund um Paris, in der sich alles konzentriert, was Frankreich eigentlich ausmacht. Die Industrie, die Verwaltung und die gigantischen Schlafstädte für Millionen Menschen. Und auch die Überbleibsel aus der Geschichte. Die Kirchen, Klöster, Burgen und Schlösser, die Fabrikruinen und die letzten konzentrischen kleinen Natursteindörfer, von denen manche in unmittelbarer Umgebung von Paris und dennoch mitten zwischen Wald und Feldern liegen.
Die meisten Reisenden nehmen von all dem nichts wahr. Ihr Ziel ist die Hauptstadt und nur sie. Das Umland von Paris bleibt außen vor. Alljährlich vorsucht die Großregion nun seit dreizehn Jahren die TouristInnen mit einem Festival an historisch und landschaftlich interessante Orte abseits von Paris zu locken. Vor allem mit Musik, aber auch mit Theater und Tanz. Es beginnt, wenn die Saison der großen, internationalen Festivals vorbei ist und Frankreich seine rentrée abhält, die Rückkehr zur Routine nach der langen Sommerpause.
In diesem Jahr war das der letzte Sonntag, als eine fête fantasque den Schloßpark von Villarceaux belebte, wo achtzig Kilometer nordwestlich von Paris langsam die Normandie beginnt. Einen Nachmittag spielten an weit voneinander entfernten Ecken des Parks Musiker. Das Publikum wandelte vom Teich zur Orangerie und zu den Ställen aus dem späten Mittelalter und stieß dabei auf Schritt und Tritt auf neue Klänge – von australischen Didgeridoos, auf böhmische Kammermusik und auf französische Jagdhörner und Flötisten. Zwischen ihnen trieben Elfen und Waldgeister ihr Schauspiel. Am Ende fanden sich alle Besucher gemeinsam im Gemüsegarten zu einem Abschlußkonzert zusammen.
So laut und weitflächig wie beim Auftakt in Villarceaux geht es bei dem Festival nicht immer zu. Bei den meisten anderen Konzerten, die bis zum 19. Oktober jeweils Freitag und Samstag abends und am Sonntag im Laufe des Tages stattfinden, steht ein bestimmtes Genre und ein Orchester auf dem Programm. Aber für musikalische Mischung ist gesorgt – sie reicht von Schubert über Scarlatti und Debussy bis hin zu Schostakowitsch. Zwischendurch (am 3. Oktober in Le Port-Marly) gibt es klassische arabische Musik mit Tanz und zum Abschluß einen barocken Zirkus mit der Compagnie Rasposo (am 19. Oktober in Rosny-sous-Bois).
Die Schauplätze sind sorgfältig ausgewählt. Die wenig bekannte Kammeroper „Diane in Fontainebleau“, die Henri Desmarets 1686 komponierte, wird im Kaminraum des Schlosses Fontainebleau im Süden von Paris aufgeführt, wohin sich Ludwig der XIV. zu Jagdzwecken zurückzog (27. September, 20.30 Uhr). Für die Arien, die Johann Sebastian Bach für seine Gattin Anna Magdalena komponiert hat, wählte das Festival die Zisterzienserabtei von Maubuisson im Nordwesten von Paris aus, die im 13. Jahrhundert den Ruf eines Ortes der Hingabe und der Frivolität hatte (5. Oktober, 17 Uhr). Elegische Lieder und andere romantische Stücke von Schumann, Mahler und Schönberg kommen in einer Industriehalle zur Aufführung, die kurz nach Schönbergs Kompositionen Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde (Manufacture des ÷illets, 11. Oktober, 20.30 Uhr).
Für An- und Abreise zu den Veranstaltungen sollte man sich viel Zeit und nach Möglichkeit ein eigenes Auto nehmen. Nicht nur, weil fast überall vor oder nach den Konzerten Besuche mit Führungen angeboten werden. Sondern vor allem – auch das gehört zur Ile de France dazu – weil die Region tatsächlich groß ist und S-Bahn- Anschlüsse nur in den Schlafstädten vorhanden sind. Auf die abgelegenen Wege führt nicht einmal der Bus. Dorothea Hahn
Festival d'île de France, Programminformationen und Reservierung unter (00331) 44942850. Die Eintrittspreise liegen zwischen 50 und 120 Franc (15 bis 36 DM).
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