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Die Fünfprozentquote wird nicht erfüllt

■ Senat und Gewerkschaften haben vereinbart: Die Zahl der Lehrstellen muß fünf Prozent der Beschäftigung ausmachen. Nicht nur die Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung verstoßen dagegen

Die öffentliche Hand wird den Jugendlichen nicht ausgestreckt. Trotz vollmundiger Ankündigungen von Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD), zusätzliche Ausbildungsplätze im öffentlichen Dienst und in landeseigenen Unternehmen anzubieten, droht ihre Kampagne zu scheitern. Die meisten Unternehmen der öffentlichen Hand betrachten Auszubildene zuerst als Kostenfaktor. Einsparungen betreffen zuerst die „variablen Kosten“ – das sind oft genug: die Azubistellen.

Vor vier Jahren bildete der Landesdienst der Senats- und Bezirksverwaltungen 4.315 Azubis aus. Nach einem rapiden Abbau sank das Angebot seit 1993 bis auf 2.811 Ausbildungsplätze im vergangenen Jahr. Laut einer Vereinbarung zwischen Gewerkschaften und Senat soll das Ausbildungsangebot fünf Prozent des gesamten Stellenvolumens im öffentlichen Dienst ausmachen. Das stimmt, bezogen auf den Landesdienst. Aber einzelne Behörden und öffentliche Unternehmen verstoßen gegen die Quote.

Die Messe Berlin etwa, zu 97 Prozent vom Land finanziert und mit Milliardeninvestitionen ausgebaut, bietet gerade acht Jugendlichen eine Chance. Das sind nicht einmal zwei Prozent der Messe- Beschäftigten. Man sei stolz, so ein Sprecher der Messe, den drei Kandidaten eine Stelle anbieten zu können – auf zwei Jahre befristet. Katastrophal ist die Ausbildungslage beim SFB. Von 1.200 Festangestellten – die große Zahl freier MitarbeiterInnen nicht mitgerechnet – befinden sich kaum zwei Prozent in der Ausbildung. Drei MediengestalterInnen, vier Bürokaufleute und siebzehn Volontäre bringt der Hauptstadtsender auf die Waage.

Die Berliner Stadtreinigung (BSR) stellt pro Jahr 72 Azubis ein. Heute werden insgesamt 214 Jugendliche ausgebildet. Damit liegt der landeseigene Betrieb unterhalb magerer 2,5 Prozent. Ausgerechnet Staatssekretär Peter Haupt (SPD), rechte Hand der Arbeitssenatorin Bergmann, lobte dennoch das außerordentliche Ausbildungsengagement der BSR. „Wir liegen weit über der Ausbildungsquote der Privatwirtschaft“, hob denn auch der BSR-Pressesprecher Bernd Müller hervor. Völlig widersprüchlich ist darum auch die Annahme von Arbeitssenatorin Bergmann, daß in der Privatwirtschaft „normalerweise“ fünf Prozent aller Beschäftigten Azubis seien.

Die Arbeitssenatorin hat indessen keine wirkungsvollen Rezepte anzubieten. Die öffentlichen Unternehmen würden nach privatwirtschaftlichen Kriterien handeln. „Druckmittel zur Einstellung von Auszubildenden gibt es nicht“, sagte Bergmanns Sprecherin Beate Moser der taz.

Die Ausbildungsmisere bei öffentlichen Unternehmen ist unübersehbar: In Gesellschaften mit öffentlicher Beteiligung sind laut dem Beteiligungsbericht der Finanzverwaltung heute 74.700 Personen beschäftigt. Aber nur 2.700 Azubis erlernen dort einen anerkannten Beruf – der tariflich vereinbarten Fünfprozentquote zum Hohn. Die Bezirksverwaltungen steuern das Ihre zu der Negativbilanz 1997 bei. Gelder, die für weitere Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, werden dort nicht abgerufen.

Die Situation auf dem Lehrstellenmarkt ist auch deswegen schlimm. Rund 7.000 Jugendliche suchten – rechnerisch – Mitte September einen Ausbildungsplatz. „Die Schere zwischen Ausbildungsplatzbewerbern und angebotenen Lehrstellen geht in diesem Jahr dramatisch auseinander“, gesteht auch Senatssprecher Eduard Heußen ein. sen

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