: Die den Atom-Pfennig ehren
Um Gas-Konkurrenz für das AKW Stade auszuschalten, verkauft Betreiber Preag Atomstrom zum Schleuderpreis an Großkunde Dow ■ Von Achim Fischer
Mit Billigpreisen verteidigt der Hannoveraner Stromkonzern PreussenElektra (Preag) sein AKW in Stade gegen unliebsame Konkurrenz durch Gaskraftwerke. Das wurde jetzt durch einen Vertragsabschluß zwischen dem Chemie-Giganten Dow Chemical und der Preag deutlich. Der Stromdeal bestätigt, was Atomkritiker schon seit Monaten vorrechnen: Gaskraftwerke sind, trotz Neubaukosten, billiger zu betreiben als bestehende, abbezahlte AKWs.
Das Dow Chemical-Werk in Stade-Bützfleth bezieht seinen Strom seit mehr als zwanzig Jahren von der Preag. Das entsprechende Kraftwerk steht auf dem benachbarten Werksgelände: das AKW Stade, einer der ältesten Atomreaktoren in Deutschland. 630 Megawatt (MW) Leistung hat der Meiler. Ein Drittel dieser Kapazität nimmt alleine das Chemie-Werk ab, Tag für Tag, rund um die Uhr. Gerade für ein Atomkraftwerk, das sich nachts und am Wochenende nicht mal eben auf halbe Flamme schalten läßt, sind solche Dauer-Kunden hochwillkommen. Die Preag räumt ihnen Sondertarife ein, auch den Dow-Werken.
Durch den riesigen Energieverbrauch ist die Stromrechnung, trotz Sonderkonditionen, einer der wichtigsten Kostenfaktoren der Anlage. „Die Chemieproduktion wird zu 60 Prozent von den Energiekosten bestimmt“, sagte ein Dow-Sprecher. Und gerade mit diesem Faktor sind die Manager in Stade überhaupt nicht zufrieden. Seit Jahren beklagen die Chemiker zu hohe Strompreise der Preag. Und überlegten sich, ob sie ihren Bedarf nicht mit einem eigenen Gaskraftwerk billiger sichern könnten. Vor einem Jahr meldete der Konzern deshalb beim niedersächsischen Wirtschaftsministerium sein Interesse am Bau eines Gaskraftwerkes an. Vor einem halben Jahr präsentierte das Unternehmen dann eine „Grundsatzvereinbarung“mit dem US-Kraftwerksbauer Destec. Inhalt: der Bau eines Gaskraftwerkes für rund 500 Millionen Mark.
Sechs Pfennige, so meldete es selbst die vorsichtige Nachrichtenagentur dpa, hätte die Kilowattstunde (kWh) Strom aus dieser Anlage voraussichtlich gekostet, Baukosten bereits berücksichtigt. Die Produktionskosten in abgeschriebenen Atomkraftwerken gibt die Preag-Partnerin Hamburgische Electricitäts-Werke (HEW) mit mindestens sieben Pfennigen an.
Der eine Pfennig Differenz macht einiges aus: Dow würde übers Jahr vermutlich einen zweistelligen Millionenbetrag sparen. Dennoch verzichtete der Chemie-Konzern vergangene Woche auf den Bau eines eigenen Kraftwerkes. „Die langjährigen Partner Dow und PreussenElektra haben sich auf ein neues „integriertes Energieversorgungskonzept geeinigt und einen langfristigen Vertrag unterzeichnet“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der beiden Konzerne. Dow bezieht weiterhin Strom von Preag. Die Konditionen des Deals wollen beide nicht verraten.
Nach Auskünften mehrerer Branchenkenner gegenüber der taz sicherte sich der Chemie-Vorstand einen Strompreis zwischen vier und fünf Pfennigen – auf den ersten Blick ein Millionen-Verlust für die Preag. Denn: Bei offiziellen Produktionskosten von sieben Pfennigen und einem Erlös von fünf Pfennigen enstünde der Preag bei der bisherigen Stromabnahme der Chemie-Werke (220 MW über rund 8000 Stunden im Jahr) ein jährlicher Verlust von vermutlich mehr als 30 Millionen Mark.
Aber die Sache läßt sich auch anders rechnen. Zum Beispiel so: Die Preag könnte davon ausgehen, daß das AKW sowieso läuft, auch ohne Dow als Kunde, sozusagen im Grundbetrieb. Also stellt Preag dem Chemiekonzern nur die Kosten in Rechnung, die für die Ausweitung des Grundbetriebes anfallen – die sogenannten Grenzkosten. „Wenn man so rechnet, kann man auch mit einem Strompreis von fünf Pfennigen noch einen kleinen Gewinn machen“, erklärt ein Energiewirtschaftler eines Forschungsinstitutes, der ungenannt bleiben möchte.
Die Sache hat nur einen Haken: Die Rechnung mit den Grenzkosten geht nur auf, wenn der Grundbetrieb voll finanziert ist. Und genau daran zweifeln im Fall des AKW Stade einige Experten. Denn der Atommeiler beliefert noch einen zweiten Großkunden zu Sonderkonditionen – die Hamburger Aluminiumwerke. Sie beziehen von der Preag etwa soviel Strom wie Dow Chemical. Damit lasten die beiden Großbetriebe das AKW Stade zu zwei Dritteln aus.
Auf fünf bis sechs Pfennige schätzt ein Insider der bundesweiten Energiebranche den Stromtarif für die Alu-Hersteller. „So an die sechs Pfennige – das habe ich auch gehört“, bestätigt ein Kenner der Hamburger Wirtschaft. Danach dürfte es der Preag schwer fallen, den Grundbetrieb des AKW zu finanzieren. Also ginge auch die Rechnung mit den Grenzkosten nicht auf.
„Die vier bis fünf Pfennige können nur noch ein Deckungsbeitrag sein“, schätzt der Experte. Soll heißen: Die Preag verkauft ihren Strom unter den Produktionskosten. Warum sie sich dann auf den niedrigen Preis einließ, der ihr vermutlich jährliche Millionen-Defizite beschert? „Das war nicht nur eine Frage der Kostenrechung“, schätzt der Insider, der wie alle in diesem millionenschweren Geschäft nicht genannt werden möchte. „Das war auch eine unternehmensstrategische Entscheidung: Die Preag will keine Konkurrenz im norddeutschen Raum aufkommen lassen.“
Die Konkurrenz drohte ausgerechnet vom bisherigen Kunden Dow Chemical. Die Chemiker nämlich wollten mit ihrem Gaskraftwerk nicht nur das eigene Werk versorgen. Sie kündigten schon vor Monaten an, auch überschüssigen Strom produzieren und gewinnbringend an andere Unternehmen in der Region verkaufen zu wollen. Dazu planten sie eine Anlage, die mit 675 MW noch etwas leistungsstärker sein sollte als der benachbarte Atommeiler. Wäre Strom aus diesem Gaskraftwerk teurer als aus dem AKW, bräuchte die Preag die Konkurrenz nicht zu fürchten. So aber, erklärt der Hamburger Wirtschaftskenner, „hat die Preag Dow Chemical mit einem Super-Angebot ruhiggestellt. Damit machen sie auf den ersten Blick vielleicht Verluste. Aber sie sind die Sorge los, daß die Dow ihnen Kunden abjagt.“
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