■ Vorschlag
: Tocotronic und Fuck im Kesselhaus der Kulturbrauerei

Vorschlag

Tocotronic und Fuck im Kesselhaus der Kulturbrauerei

Nach Bahrenfeld im Bus: Tocotronic Foto: Promo

Eigentlich sind Arne Zank, Jan Müller und Dirk von Lowtzow ein Fall fürs Soziologenmikroskop – verhandelt doch die unendliche Geschichte des Miniversums „Tocotronic und die Folgen“ zu gleichen Teilen das Verfluchen der verlorenen Zeit, den trotz Wittgenstein-Lektüre ungebrochenen Spaß an wüster Punk- und Grungerockerei und die verschärften Bedingungen jugendlich-dissidenten Aufbegehrens von 87 bis 97. Daß das ironische Trio mit seinen tollkühnen Songtiteln („Nach Bahrenfeld im Bus“ u.v.a.m.) trotzdem als „junge und idealistische Rockband“ wahrgenommen wird, ist natürlich ein schlechter Scherz – jung sind heute die 17jährigen, idealistisch waren die 37jährigen. Unabhängig von diesen Sophistereien lohnt sich der Besuch ihrer Konzerte schon wegen des Drummers Arne, der vorneweg einige seiner eigenen Kompositionen zum besten gibt. Das wirkt, als hätte ein irrer Gentechniker Woody Allen und Beck in ein Reagenzglas geworfen und kräftig geschüttelt.

Schwieriger verhält es sich mit Fuck, der tollen unbekannten Ami-Band der Wintersaison 97/98. Das beginnt mit dem bescheuerten Bandnamen, der arg nach Lydia Lunch schmeckt, geht über die halbhumorige und vor allem kunststudentenmäßige Artwork und endet mit der territorialen Verortung. Weiß man bei Bands wie Sonic Youth aus New York oder A Subtle Plague aus San Francisco zumindest noch in Bruchstücken, wie sich der Bogen von der Hippie- Vergangenheit zu Polit-Core oder von Artcore über No Wave zu Neuerfindung des doppelt schnellen Rocken und Rollen übers Umfeld konstruieren läßt, kommen Fuck aus beiden Städten. Das bedeutet: Tapes hin- und herschicken, das Material schichten, Langsamkeit entdecken usw. Daß die Band noch viel mehr zu bieten hat als den gemütlichen Slow-Fi vom aktuellen Album „Pardon my French“, erfährt man leider erst über Normal Mail Order, die doch tatsächlich mit „Baby Loves A Funny Bunny“ eine prima Platte im Keller liegen haben, auf der von Pavement bis Yo La Tengo so einiges von dem sachte anklingt, was an amerikanischer Gitarrenmusik noch immer mögenswert ist. Gunnar Lützow

Tocotronic und Fuck heute und morgen abend um 21 Uhr, Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaack- Ecke Danziger Straße

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