: Übersteigerte Wortwörtlichkeit
■ betr.: „Oben mit erregt Anstoß“ u.a., taz vom 15.9. 97
[...] Die Auslegung der 24. Sure und weiterer zuständiger Textstellen im Sinne der islamistischen Kleidervorschriften, die ja keineswegs alten, regional unterschiedlichen weiblichen Kleidungstraditionen der islamischen Kultur entsprechen, sondern eine künstliche internationale neoislamische Neuschöpfung darstellen, ist wegen ihrer übersteigerten Wortwörtlichkeit bedenklich. Die Sure spricht eindeutig von Kleidung des 7. Jahrhunderts. Sie kann – eben nicht wortwörtlich, aber sinngemäß – auch einfach nur als Aufforderung an die gläubige Moslemin gelesen werden, sich im Rahmen der zeitgemäßen Kleidungsgewohnheiten dezent zu kleiden. Frau Ulrike Thoenes muß bei derart wortwörtlicher Auslegung des Korantextes unter anderem ja auch die Minderwertigkeit der Frau, ihre mindere Befähigung zu sachlichen und wahrheitsgemäßen Aussagen (Zeugenschaft), das Recht des Mannes, die Frau zu schlagen, und ähnliches akzeptieren. Darüber hinaus müßte sie autoritäre politische Vorstellungen, die Berechtigung der Sklaverei und schließlich die Rechtsprechung der Scharia gutheißen.
Gegen dieses mit Menschenrechtsvorstellungen und Demokratieverständnis nicht kompatible, fundamentalistische Wortwörtlichkeitsdenken setzen sich viele ernsthafte und bewundernswerte islamische Intellektuelle ein. [...] Assia Djebar und vor allem Fatema Mernissi kämpfen für ein freiheitliches Frauenverständnis innerhalb des Islams. Sie zeigen, daß die Koransuren nicht in einem engstirnigen Sinn wortwörtlich, sondern in die besten Traditionen der Moderne gestellt verstanden werden können. Gerade von westlichen Konvertitinnen könnte man die Auseinandersetzung mit den intellektuellen, freiheitlichen Strömungen im Islam und die Unterstützung dieser Bemühungen erwarten. Die Übernahme einer speziell von einem islamistischen „Backlash“ propagierten Kleidung spricht eher von einem gedankenloseren Umgang mit der neuen Religion. Bedenken von Eltern dagegen würden auf mein Verständnis stoßen. [...] Isabel Kocsis, Düsseldorf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen