■ Ökolumne: Heißer Herbst Von Michaele Hustedt
Erstmals wurde in Bonn die breite gesellschaftliche Mehrheit für den Einstieg ins Solarzeitalter sichtbar. Die Demonstration für den Erhalt und Ausbau des Stromeinspeisungsgesetzes am vergangenen Dienstag war erfolgreich und symbolträchtig: erstens, weil die Bundesregierung von der geplanten Senkung der Einspeisungsvergütung für die Windenergie Abstand nehmen mußte, und zweitens – und mindestens genauso wichtig –, weil sich hier erstmals ein breites Bündnis zusammengetan hat, um für eine ökologische Energiepolitik zu demonstrieren. Die IG Metall an der Seite der Arbeitgeber, Bauernverband und Kirchen Arm in Arm mit den Umwelt-, Solar- und Windverbänden. Auf der anderen Seite stehen nur noch die Ewiggestrigen: die Stromkonzerne, einige Verbandsfunktionäre des BDI und mit ihnen jene Politiker, die sich vor deren Karren spannen lassen.
Die Bonner Demonstration könnte die Keimzelle für eine neue Umweltbewegung sein. Eine Bewegung, die nicht mehr nur gegen, sondern für etwas kämpft; eine Bewegung, die den Umweltschutz glaubwürdig mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und Innovationen verknüpfen kann, eine Bewegung, die im Zentrum der Gesellschaft steht und damit die Kraft entwickeln kann, die bestehenden Blockaden in der Politik zu überwinden. Machbare Konzepte für die Energiewende liegen schon lange auf dem Tisch, bislang allerdings, ohne daß ein Politikwechsel erkennbar wäre. Sie belegen nur, daß es anders ginge, wenn, ja wenn der politische Wille vorhanden wäre. Wissenschaftlich belegt ist schon lange, daß das Umsteuern in Richtung umweltverträgliche Energieversorgung neue Arbeitsplätze schafft. Doch das Wissen darum reicht bisher nicht aus, um die Beharrungskräfte in der Politik zu überwinden und sich gegen die starken Lobbyeinflüsse der großen Stromkonzerne durchzusetzen.
Selbst ein Regierungswechsel auf Bundesebene alleine wäre noch keine Garantie dafür, daß die Energiewende auch tatsächlich kommt. Das sieht man in Nordrhein-Westfalen, wo die SPD und ihr Möchtegernministerpräsident Clement mit wilden Beschimpfungen und Verunglimpfungen gegen die Argumente des renommierten Wuppertal-Instituts zum unökologischen und unökonomischen Braunkohleprojekt Garzweiler II polemisieren. Und ist Schröder etwa grüner als Clement? Aller Erfahrung nach wird sich auch die SPD nur dann in Richtung Umweltschutz und Innovationen im Energiebereich bewegen, wenn der Druck aus der Gesellschaft groß genug ist. Die Demonstration für das Stromeinspeisungsgesetz macht dabei Mut und zeigt, daß die neue Umweltbewegung durchaus Vertrauen in ihre eigene Stärke haben kann. Das ist auch dringend notwendig, denn vor uns liegt ein heißer Herbst in der Energiepolitik: Novellierung des Energiewirtschaftsrechtes und die Zukunft des Stromeinspeisungsgesetzes, Garzweiler II, Castor-Transporte, ein neues Merkelsches Atomgesetz und die Klimakonferenz in Kyoto – hier stehen im nächsten halben Jahr wichtige Weichenstellungen an. Die Energiewende ist eines der Schlüsselprojekte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Sie kann zum Motor für Innovationen und einer umfassenden Modernisierung der Gesellschaft werden. Es gibt die Mehrheiten für den Ausstieg aus der Atomenergie. Und es gibt die Mehrheiten für den Einstieg ins Solarzeitalter. Jetzt müssen sich diese Mehrheiten zu Wort melden, und zwar nicht nur in den Hinterzimmern der Macht. Lobbyarbeit von Umwelt- und Windkraftverbänden ist gut, aber längst nicht ausreichend.
Die Devise heißt: Raus aus der Nische, einmischen, zugehen auf die gesellschaftlichen Bündnispartner. Denn gute Gedanken im Kopf alleine sind noch keine Politik. Gesellschaftliche Mehrheiten bleiben solange unwirksam, bis sie sich lautstark zu Wort melden. Indem man am Tag X nach Ahaus fährt oder sich an Aktionen gegen Garzweiler II beteiligt, lokale und regionale Bündnisse für die Energiewende schmiedet und sich für die ökologisch-soziale Steuerreform engagiert oder aber auf ganz kapitalistische Art und Weise in neue Windkraft- und Biogasanlagen investiert...
Denn eines ist sicher: Die Energiewende kommt erst dann, wenn viele Menschen sie wollen und sich auch dafür engagieren. Oder auf gut kölsch: „Arsch huh! Zeng ussenander!“ Jetzt.
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