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Ratlos vor der Räumung

Treptow will, daß die Wagenburg an der Lohmühle verschwindet. Doch die BewohnerInnen fordern keine einzelnen Wohnungen, sondern ein Ersatzgrundstück für ihre „Großfamilie“  ■ Von Sabine am Orde

Um halb zwölf am Samstag vormittag ist es noch ruhig in der Wagenburg an der Lohmühle in Treptow kurz hinter dem Görlitzer Park. Die meisten der Wagentüren sind noch zu, nur ein paar Hunde laufen zwischen den Wagen und selbstgezimmerten Sitzmöbeln, leeren Bierkisten und Kinderspielzeug hin und her. Hinter blühenden Sonnenblumen, die jeden Kleingärtner erfreuen würden, sitzen Winni und Andi an einem runden Holzklotz, der als Tisch dient. Im Wagen dudelt „Fritz“ aus dem Radio, dahinter fährt auf dem Kanal ein Schiff vorbei.

Sagen wollen die beiden nichts zur anstehenden Räumung ihrer Wagenburg, „das machen Zosch und Wolfgang, unsere Sprecher hier“. Und dann erzählt Winni, ein schmaler Typ mit kurzem dunklem Haar und Nasenring, wie ihn seine Hündin in die Lohmühle brachte. Denn das Tier bekam acht Welpen. „Für die war kein Platz in meiner Wohnung in Neukölln, deshalb zog ich zu Freunden hierher, vorübergehend erst mal.“ Das ist vier Jahre her. „Natürlich ist es ein spartanisches Leben“, sagt er, „Wasser kommt nur, bis der Zehn- Liter-Eimer leer ist.“ Doch Winni genießt es, draußen an der frischen Luft zu sein. Seine Wohnung gab er vor zwei Jahren auf. Andi mit den langen blonden Dreadlocks hat vorher in der Häuserzeile gegenüber gewohnt. Doch dann hat ihn das Leben seiner NachbarInnen so gereizt, daß er Wohnung gegen Wagen eintauschte.

Zwei Kinder und 25 Erwachsene, die Hälfte von ihnen Frauen, wohnen in der Wagenburg. Sie alle wollen auf keinen Fall weg aus der Lohmühle. Doch das werden sie bald müssen, wenn es nach dem Willen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Treptow geht. Denn dort beschlossen CDU und SPD in der vergangenen Woche überraschend die Räumung der Wagenburg. Statt eines öffentlichen Ersatzgrundstücks sollen den BewohnerInnen Wohnungen angeboten werden.

Zurück in Wohnungen wollen die aber gerade nicht. Inzwischen hocken auch die beiden Sprecher an Winnis Tisch. „Ich bin vor sechs Jahren in einen Wagen gezogen, weil ich in meiner Wohnung so abgeschottet war“, sagt Zosch, der eigentlich Jürgen heißt und einer der Gründer der Wagenburg ist. „Ich bin eigentlich kein kontaktfreudiger Mensch, aber wenn ich hier mit jemanden reden will, ist jemand da. Hier kannst du in einer Art Großfamilie leben.“ Auch Leute, „die etwas problematischer sind“, hätten hier eine Chance.

„Ratlos“ sind sie, wie es nun weitergehen soll. „Natürlich haben wir damit gerechnet, daß das irgendwann kommen wird“, sagt Wolfgang, der seit fast 30 Jahren im Bauwagen lebt, und zupft an seinem silbergrauen Bart, „aber trotzdem waren wir total überrascht“. Vor zwei Wochen seien sie noch zu Gesprächen im Bezirksamt gewesen: „Da fiel kein Wort von einer Räumung.“ Öffentlichkeitsarbeit machen und Unterschriften sammeln wollen sie nun. 4.000 Unterschriften haben sie bereits im vergangenen Jahr zusammengebracht, um zu zeigen, daß ein Teil der Kiezbevölkerung hinter ihnen steht. „Schlecht ist unsere Lobby nicht“, sagt Jürgen. Er glaubt, daß dies auch an dem Verein „Kulturbanausen“ liegt, mit dem die WagenburglerInnen „mit Camera Obscura, Spielmobil und Kindertheater die kulturelle Selbstinitiative von Jugendlichen fördern“. In den Sommerferien arbeiteten sie für die Treptower Jugendförderung. „Vielleicht wollen die mit der Räumung vermeiden, daß unsere Jugendarbeit bekannter wird.“

Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist das Gesprächsangebot der Spreepark GmbH über einen Umzug der Wagenburg auf deren Gelände. Doch Jürgen ist nicht allzu optimistisch: „Die wollen wohl, daß wir wie ein Zirkus auftreten und dort Jugendarbeit machen.“ Ob das alle WagenburglerInnen können und wollen, bezweifelt er. Wie die anderen drei fordert er ein öffentliches Ersatzgelände: „Im Bezirk gibt es genügend Brachflächen.“

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