piwik no script img

Dicker Fisch als dürrer Hering

Weil Boris Becker beim Grand Slam Cup frühzeitig seinen Abschied gab, tanzten die Leute lieber nackt auf Oktoberfesttischen, als in die Olympiahalle zu eilen  ■ Aus München Albert Hefele

Das ist putzig. Weihnachten in der Olympiahalle und das bei sommerlichen Temperaturen. Die Logen in feierlichem Grün und Rot, in jeder Ecke der Olympiahalle ein Christbäumchen und Knecht Ruprechte, die die Besucher erschrecken. Irgendwas stimmt hier nicht, das fällt selbst dem bierdimpfligsten Oktoberfest-Münchner auf. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Ruprechts dann auch als seltsam labbrige Werbelöwen, und die Christbäumchen haben keine einzige Kugel und schon gar kein Lametta aufzuweisen. Keineswegs Christbäumchen also, sondern eine Art von Oktoberfesttannen, schließlich haben wir September, und vor den Toren laufen die Menschen in kurzen Lederhosen umher, Konfusion komplett.

Schuld daran ist die terminliche Verlegung der alljährlichen Sechs- Millionen-Dollar-Bescherung für fleißige Tennisprofis in den September. „Es war unser Wunsch, daß der Grand Slam Cup spät im September oder früh im Oktober gespielt wird. Das ist die beste Situation für uns Spieler.“ So sprach Boris Becker, und dessen Wünsche sind auch nach dem Ableben seines Spezels Axel Meyer-Wölden im Compaq-Land Befehl. Außerdem ist Beckers Wunsch durchaus nachvollziehbar. Im September sind die großen Tennis-Ereignisse noch nicht so lange vorbei und die Spieler entsprechend gut im Saft. Nebenbei findet noch das Oktoberfest statt, und einige der zirka sechs Millionen Besucher, die dort sind, um zirka fünf Millionen Liter Bier zu trinken, hätten sich auch in die Olympiahalle verirren können. Es war aber zu warm, und so entschlossen sich die meisten dazu, nackt auf den Tischen der Bierzelte zu tanzen. Pech für den Veranstalter ISPR, dessen Marketing-Chef Peter Olsson deshalb schimpfen mußte: „Das Wetter war nicht auf unserer Seite.“

Einige der eingeladenen Spieler wußten auch nicht, was sich gehört, und so scheute sich der Schwede Björkman nicht, den per Wild Card ins Feld gehievten Boris Becker in flotten zwei Sätzen aus dem Rennen zu werfen. Seines Zugpferds beraubt, entpuppte sich der angeblich so dicke Fisch Grand Slam Cup rasch als dürrer Hering. Obwohl Peter Olsson störrisch darauf beharrte, daß „die meisten der 66.000 Karten verkauft sind“, war die Halle während der Spiele eigentlich immer halb leer, und Sat.1 murrte über die Einschaltquoten. Für Andreas Barth, den Vertreter des Titelsponsors Compaq, war die Situation dennoch alles andere als bedrohlich, denn immerhin „kamen mehr als 5.000 Kunden und Klienten unserer Firma, Gäste, die wir eingeladen haben, 25 Prozent mehr als in den vergangenen Jahren.“

Das stimmt ohne Zweifel, in den Logen um den Court herrschte reger Verkehr. Mit etwas Mühe hätte man deren Insassen gemütlich zählen können. Denn nach jeweils zwei Spielen strömten Karawanen von Topverkäufern mit Damen aus den Boxen und der Freß- und Saufzone zu. Wo Mumm-Sekt und Franziskaner-Bier warteten bzw. die Osteria Piemont mit Pizzas und Speedy mit einer wohlfeilen Feuerwurst winkten. Dort wären die meisten wohl gerne geblieben. Durften sie aber nicht, sondern mußten zurückkehren und in ihren senffarbenen Sakkos braten – bis zum Matchball.

Der einfache Fan dagegen blieb dem großartigen Event fern. Aber: wer interessiert sich schon für den einfachen Fan? Oder für die Qualität der sportlichen Darbietungen? Obwohl die diesmal deutlich höher war als in den Jahren zuvor. Andreas Barth ist ein ehrlicher Mensch und sagt, um was es eigentlich geht: „Die Qualität unserer Kundenkontakte hat sich beständig gesteigert.“ Seit sich die Company in Sachen Tennis engagiert, verkauft sie siebenmal mehr Computer. Na also, was will man mehr?

Zumindest in dieser Hinsicht ist der Compaq Grand Slam Cup eine richtungsweisende Veranstaltung. der Titelsponsor bemüht sich nur noch halbherzig, die fehlende Zuschauerfrequenz vor Ort zu erklären. Man macht dies und jenes verantwortlich und erwägt, die Damen mit ins Programm zu nehmen. Oberflächenkosmetik. Die Münchner haben das Turnier schon in der Vergangenheit, wenn überhaupt, nur wegen Becker gemocht. Ansonsten erschlägt der ständig präsente Hinweis auf die im Übermaß vorhandene dicke Kohle auch noch den kleinsten Impuls eines normalen Menschen, sich mit einer solchen Veranstaltung zu identifizieren. Zuviel „Wir haben's ja.“ Ein solch neureiches Geprotze mögen auch in München nur Leute, die sich ständig auf die Backen küssen.

Natürlich geht es im Sponsoring großen Stils immer nur ums Verkaufen. Der Grand Slam Cup riecht trotzdem eine Idee zuviel nach Verkaufsveranstaltung. Das stinkt zum Himmel, und das stinkt den Fans. Die Firma Compaq wäre gut beraten, sich und ihre wirtschaftliche Potenz etwas behutsamer zu präsentieren. Fällt ihr aber nicht im Traume ein. Die Übertragungsrechte wurden an 145 Länder in der ganzen Welt verkauft, und man ist im Internet. Darum ist es völlig egal, wieviel Menschen in der Halle sitzen. Überhaupt: der Vertrag mit der Olympiapark-Gesellschaft läuft noch bis 1999. Wenn die Münchner nicht mehr mögen – es gibt andere Städte und andere Hallen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen