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Gorbatschow trifft Potemkin

■ Im Kino 46 findet das Filmfestival „Perestroika – und danach?“statt

„Herr Gorbatschow hat in den letzten Jahren ein feines Gespür für Ironie entwickelt!“erklärte Wladimir Solokow bei einer Pressekonferenz zum Russischen Filmfestival, das vom 3. bis zum 8. Oktober im Kino 46 stattfindet. Das Gespür für Ironie braucht er hier auch, denn direkt nach seinem Referat über „Kino und Kultur in der Perestroika“am Sonntag um 18.30 Uhr im Congreß Centrum wird ausgerechnet Sergej Eisensteins Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“gezeigt. Dieser Film feiert bekanntlich die revolutionäre Geburt des Systems, das Gorbatschow zu Grabe trug.

Im großen gesellschaftlichen und kulturellen Durcheinander, das auf die vom damaligen Generalsekretär ausgelöste Perestroika folgte, verlor auch die russische Filmproduktion ihre relativ festgefügte Identität. Davon, wie unterschiedlich die nach 1989 in Rußland produzierten Filme aussehen, gibt dieses Filmfestival mit 13 fast ausschließlich in den 90er Jahren in Rußland gedrehten Filmen einen Eindruck.

Aber die ersten kulturellen Boten der Perestroika bestanden aus altem Zelluloid: Die sogenannten Schubladenfilme sind meist aus den 60er Jahren, wurden nach der Fertigstellung sofort von der Zensur verboten und verschwanden in den riesigen russischen Filmlagern, woraus sie erst Mitte der 80er Jahre wieder auftauchten. Am sensationellsten war wohl die um 20 Jahre verspätete Premiere von Aleksandr Askoldovs „Die Kommissarin“auf der Berlinale von 1987. Neben diesem Paradebeispiel (6. Oktober, 18.30 Uhr) wird noch der weniger bekannte „Herzlich Willkommen oder Unbefugten Eintritt Verboten“von Elem Klimov gezeigt (7. Oktober, 20.30 Uhr).

Nach dem Wegfall der Zensur stürzten sich die Filmemacher zuerst auf all die Themen und Stilmittel, die so lange verboten waren. Sergej Ovtscharov hat mit „Es“(4. Oktober, 16 Uhr) etwa eine Satire auf die in Rußland gängige Geschichtsschreibung gemacht; in „Gefangen im Kaukasus“(3. Oktober, 16.30 Uhr) bricht Sergej Bodrow mit dem Mythos von der unschlagbaren russischen Armee.

Aber nach dieser Phase der Aufarbeitung der Geschichte wurde das Kino der ehemaligen Sowjet-union schnell diffus und chaotisch. Zum Glück ersparen uns die Organisatoren dieser Filmreihe sowohl den hemmungslos kommerziellen Schund wie auch das mystisch verquaste Kunstkino, mit denen viele russische Filmemacher in Rekordzeit den Ruf ihrer Filmkultur empfindlich angekratzt haben. „Anything goes“scheint dort nun die Devise zu sein. So läßt Karen Schachnasarovin „Der Zarenmörder“(3.10., 20.30 Uhr) ausgerechnet Malcolm McDowell, den Psychopathen aus Stanley Ku-bricks „Clockwork Orange“, einen Psychiatriepatienten spielen.

Auch zu den gerade aktuellen Schwierigkeiten der Russen mit ihrer altersschwachen Raumstation gibt es den passenden Film auf dem Festival. In „Out of the Present“(3. Oktober, 16.30 Uhr) zeigt Andrej Ujica neben vielen spektakulären Bildern aus dem All den Bordingenieur Sergej Krikaljow bei seiner Arbeit auf der MIR. Weil nach der Perestroika den Russen sowohl im Weltraum wie auch im Kino das Geld fehlt, mußte sich Andrej Ujica die Mittel für seinen Dokumentarfilm im Ausland zusammenkratzen, und so wurde sein Film in dieser Stadt vom „Institut für Film und Fernsehen“produziert. Also ein russischer Film aus Bremen. Wilfried Hippen

Filmfestival „Perestroika – und danach“, vom 3. bis 8. Oktober im Kino 46 / Gorbatschow und Potemkin sind am Sonntag ab 18.30 Uhr im Congress Centrum auf der Bürgerweide zu besichtigen. Kartenvorverkauf im Kino 46

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