: Bericht aus dem Inneren einer unverwirklichten Teekanne Von Susanne Fischer
Warum tragen alle Kunsthandwerkerinnen ihre Haare lang? In zufällige Zöpfe geschlungen, die aussehen sollen, als ob die fleißige Kunsthandwerkerin bereits morgens beim Kämmen erst in einen Sturm geraten ist und dann von einem künstlerischen Anfall überrollt wurde? Warum werfen sich selbst die Töpferinnen und Goldschmiedinnen nach dem Frisieren in gebatikte Hosen und Strickpullover, deren Muster erahnen lassen, daß jemand auf diesen einen Entwurf sein Leben lang studiert hat? Wahrscheinlich, weil sie ihre Teekannen und Seidenbroschen nicht anziehen können und deshalb bei den textilgestaltenden Kolleginnen ein Äquivalent zum selbstverfaßten Kerzenleuchter eintauschen müssen. Denn für Kleidung von der Stange sind die Mädels zu sensibel.
Dazu heißen sie alle noch Amei, Pia oder Anna-Ria und strahlen den ganzen Tag, weil sie sich in jenem selbstgewobenen Schal dort so einmalig verwirklicht haben, während Du, häßliche Fremde, Sabine heißt und Dein Geld in der Stadt mit Büroarbeit verdienen mußt.
Weil sich Rieke Mia und Lena- Luise mit ihren Werkstätten längst auf das Dorf zurückgezogen haben, war die einzige Kunsthandwerkerin in Deinem Leben bisher Deine Friseurin, wenn man von der Mama absieht, die einst so schön Deine Socken gestopft hat. Deine Friseurin bringt wirklich etwas zustande, aber deren Künste sind bei der sonntäglichen Ausstellung im Fachwerkspeicher nicht gefragt, wie man an der sofakissenartigen Haarrolle von Töpferin Theres erkennen kann. Eigentlich sieht sie sogar aus, als habe sie ein kleines, handgewebtes Tier auf dem Kopf hocken, und sich so hinauszutrauen muß denn auch schon beinahe wieder als Kunst gelten.
„Und, wie geht es euch?“ fragt Amei. Pia säuselt, sie leide neuerdings an Wolkenangst. „Wolkenangst?“ fragen Amei und Du wie aus einem Munde, aber bei Amei klingt es ein wenig neidisch. Ja, Wolkenangst, bekräftigt Pia, als handele es sich um etwas Selbstverständliches, wenn sie das Haus verlasse und mehr als drei Wolken am Himmel sehe, werde ihr bänglich zumute. Einmal sei sie schon beinahe umgekehrt. Anna-Ria hat Baumsympathie und bekommt Ausschlag, sobald sie gequälte Pflanzen sieht, neuerdings sogar schon, wenn ein Hund sein Bein an ihrem Lieblingsbaum hebt. Lena- Luise fällt seit kurzer Zeit gern mal in Ohnmacht, wenn etwas nicht so geht, wie sie es möchte. Im Hintergrund probieren derweil irritierte Bäuerinnen asymmetrisch geschnittene Leinenjacken in leuchtendem Orange an und wenden getöpferte schwarze Kugeln in ihren Händen, deren Funktion nicht nur ihnen dunkel bleibt, während sie sich wundern, was sich da in ihrem Dorf so abspielt, und kann man davon eigentlich leben?
Du glaubst inzwischen, daß sich diese elfenhaften Wesen von zerquirlter Luft mit wenig Blütennektar ernähren können, und hoffst, daß Deine Schulfreundin Amei nicht plötzlich ganz laut sagt „Biene, was machen eigentlich deine Krampfadern?“, denn Du hättest an diesem Nachmittag gern eine vornehmere, ja möglicherweise künstlerische Krankheit zu bieten. Statt dessen fragt sie Dich nach Deinem Aszendenten.
Hat sie Dich eben wirklich Saba genannt, oder hast Du Dich verhört?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen