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Gemetzel mit einem feinen Skalpell

■ SPEX/ZAP-Autor Martin Büsser und Punksänger Lee Hollis erläutern den Punk

SPEX ist klasse: Man fährt Zug, liest das legendäre Popfanzine SPEX, na gut, liest es nicht, liest also das legendäre Popfanzine Der Spiegel, schlägt aber drum herum ein SPEX-Heft, – und wird garantiert nur von außerordentlich netten, klugen, besonderen Menschen angesprochen. Wie grauenhaft schneiden dagegen bei diesem beliebten Zeitschriften-im-Zug-Testverfahren der Focus, Sport Bild und das besonders kontaktintensive Kauen auf Wurstsemmeln ab: nur Idioten lernt man da kennen. SPEX-Leser dagegen sind – wie gesagt – top.

Allerdings existiert bei SPEX eine mysteriöse Kluft zwischen dem Niveau der Leserschaft und dem Niveau der Zeitschrift. Exemplarisch deutlich wird diese Kluft bei Martin Büssers „If the kids are united“. Martin Büsser war Autor von SPEX, außerdem von dem Punk- und Hardcoremagazin ZAP. Sein Buch über Punk und Hardcore ist eher bescheiden. Am Tonfall liegt's allerdings nicht. Der nämlich ist hochtrabend, unangemessen hochtrabend, widerwärtig hochtrabend. Das Buch leidet an der SPEX-Krankheit intellektuellen Getues in Abwesenheit intellektueller Substanz.

Das kleine Büchlein tritt brustgeschwellt auf wie eine mühsam den Hirnwindungen abgerungene, hochtheoretische Grundsatzanalyse einer großen Bewegung.

Ein feines Sezierbesteck bringt Büsser dabei zum Einsatz: verschlungener Satzbau, Baudrillard- und Viriliozitate, Adornowortschatz. Anrichten tut er damit ein grobes Gemetzel. Er kennt nur eine einzige Kategorie, die heißt Verweigerung bzw. Radikalität. Alles durchleuchtet er ausschließlich auf seinen Angepaßtheitsgrad hin. Das erwartbare Ergebnis dieser Autopsie des Punk: Was einmal angetreten ist, die Welt zu verändern, wurde von der Kulturindustrie vereinnahmt. Nachdem dieses Thema uninspiriert in 1.000 Variationen durchgeführt wurde, möchte der Autor am Ende „darauf hinweisen, daß Punk längst nicht mehr nur auf der Seite gegen die Macht zu finden ist, sondern auch unter den Mächtigen.“Eine regelrechte Folter der ewigen Repetition.

Am Anfang des moraltriefenden Übels steckt ein Gedankenfehler: Büsser nimmt den revolutionären Anspruch einiger (beileibe nicht aller) Punkbands nicht nur ernst, sondern so bierernst, wie er dann doch eher selten gemeint wird, und bastelt daraus eine starre, lieblose, alle Feinheiten plattwalzende Meßlatte. Besonders witzig, daß Brüssers revolutionäres Gegrummel von der bürgerlichen Presse relativ einhellig bejubelt wurde.

Wie wunderbar war doch einst der Anspruch von SPEX, das unterbewertete Phänomen Pop einer soziologischen, politischen, psychologischen, ästhetischen, auf jeden Fall aber hochintellektuellen Analyse zu unterziehen. Wie blaß sind nach wie vor die Ergebnisse dieses Ansinnens. Und wie uniform. Durch „If the kids are united“glimmt das immerhin detailgesättigtere „Sexbeat“des Übervaters Diedrich Diederichsen durch.

Insofern ist das Werk ein Dokument des herrschenden Stands des Popdiskurses; insofern freuen wir uns auch, Martin Büsser kennenlernen zu können. Gelegenheit hat man dazu morgen. Mit dabei hat er übrigens Lee Hollis, den viele BremerInnen als Sänger von Steak Knife kennen- und lieben gelernt haben und dem der Ruf des Spaßvogels vorausflattert. bk

Büsser liest am 3. Oktober um 18.30 Uhr im Cafe Lagerhaus

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