: Frauenpolitisch ein enormer Rückschritt
■ betr.: „An den Vätern führt kein Weg vorbei“, taz vom 25.9. 97
[...] 1. Das neue Gesetz bestimmt, daß die Eltern nach einer Trennung oder Scheidung das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder behalten. Das klingt gut, suggeriert der Begriff „gemeinsames Sorgerecht“ doch gemeinsame Verantwortung und gemeinsame Fürsorge. Daß der Alltag jedoch anders aussieht, erfahren die nach der Trennung oder Scheidung alleinerziehenden Mütter (und das ist immer noch der Regelfall) schnell.
In den meisten Fällen sind sie – wie schon während der Ehe oder beim alleinigen Sorgerecht – für den Betreuungsalltag allein zuständig, während der Vater durch Abwesenheit glänzt. Matthias Gründel, der die Erfahrungen von geschiedenen Eltern mit dem gemeinsamen nachehelichen Sorgerecht untersucht hat, stellte fest, daß die Mütter sich von dieser Sorgerrechtsform sowohl eine Entlastung im Betreuungsalltag als auch einen häufigeren Kontakt zwischen Vater und Kind versprachen – und daß diese Hoffnung sich in den meisten Fällen nicht erfüllte. Entscheidend für den Alltag mit dem Kind ist nicht, wer welche Rechte hat, sondern wer mit dem Kind zusammenlebt. An ihm – häufiger: an ihr – bleibt die „Sorge“ hängen, Rechte hin, Rechte her.
2. In grundsätzlichen Angelegenheiten des Kindes (welche das sind, wird erst die Rechtsprechung klären) soll zukünftig der geschiedene Vater neben der Mutter entscheidungsbefugt bleiben. Nicht mehr und nicht weniger bedeutet das gemeinsame Sorgerecht, das besser „beidseitiges Bestimmungsrecht“ heißen sollte. Dem geschiedenen oder getrennt lebenden Vater werden durch diese Regelung weder Pflichten auferlegt, noch wird dem Kind hierdurch der getrenntlebende Vater erhalten – letzteres wurde im Vorfeld des Gesetzentwurfs immer wieder als hehres Ziel der Reform genannt. Statt dessen trägt das Gesetz einzig und allein dazu bei, dem geschiedenen Vater eine Rechtsposition gegenüber dem Kind – und damit auch gegenüber der Mutter – zu erhalten. Und dies auch gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Mutter, denn zukünftig kann sie das alleinige Sorgerecht nach Trennung oder Scheidung nur dann erhalten, wenn der Vater zustimmt oder das Wohl des Kindes eine Übertragung des Sorgerechts erforderlich macht. Sämtliche Untersuchungen zum gemeinsamen Sorgerecht betonen jedoch, daß dieses nur dann funktionieren kann, wenn beide Elternteile mit dieser Sorgerechtsreform einverstanden und zudem in der Lage sind, trotz gescheiterter Partnerschaft um der Kinder willen zusammenzuarbeiten. Das ist leider nur selten der Fall.
3. Wenn also zukünftig die geschiedene oder getrenntlebende Mutter, die das Kind allein versorgt, in wesentlichen Angelegenheiten des Kindes nicht länger alleine handlungs- und entscheidungsbefugt ist, so wird damit ein Zustand wiederhergestellt, der an die Zeit vor dem 1. Juli 1958 (!) anknüpft. Zu diesem Datum trat das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau“ in Kraft, welches erstmals in der Geschichte des bürgerlichen Rechts bestimmte, daß der Mutter nach einer Scheidung die volle elterliche Gewalt, wie es damals noch hieß, übertragen werden konnte. Bis dahin durfte sie nach der Scheidung die Kinder zwar versorgen, die Vertretungs- und Entscheidungsbefugnis verblieb jedoch dem Vater, selbst wenn dieser schuldig geschieden war. Ganz so wird es in Zukunft nicht sein. Frauenpolitisch ist die geplante Neuregelung des nachehelichen Sorgerechts jedoch ein enormer Rückschritt. Wie sollte es bei einer konservativen Regierung aber auch anders zu erwarten sein. [...] Janne Klöpper, Bremen
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