Am Rande der Stadt – mittendrin

■ Die Geschichte der Kammerspiele als Performance-Lesung

Wo die Wohnsiedlungen in die Natur ausfransen, Industrie sich mit Wiesen und kleinen Wäldchen abwechselt, auf dem halben Weg nach Dänemark: In Langenhorn liegt die Probebühne der Kammerspiele. Dorthin hatte das Theater am Montag geladen, um mit der Produktion Messap, Ufa und Savoy, die in Zusammenarbeit mit Hamburger Studierenden entstanden ist, die Geschichte des Hauses an der Hartungstraße, das Kriegsende in Hamburg und die erste Zeit danach zu rekonstruieren.

Zwischen Fichten und Birken stehen die Mitte der 30er Jahre entstandenen Backsteingebäude. In der einstigen Kantine gab ein junger Historiker Einblicke in die Geschichte des Betriebs. Hatten am Anfang noch badische Facharbeiter, die in einer eigens für sie gebauten Schwarzwaldsiedlung lebten, die Uhren-Produktion in Gang gebracht, mußten hier später russische Zwangsarbeiterinnen in einem Außenlager des KZ Neuengamme für die Herstellung von Bombenzündern schuften.

Der Vortrag wird jäh unterbrochen von Sirenengeheul. „Zügig“ gehen alle in den Keller. In den dunklen Räumen wird das Ende des Krieges in Hamburg geschildert aus drei Perspektiven: Ein Junge erlebt die Kapitulation in Langenhorn, ein Soldat schwankt in der Hochbahn Richtung Ochsenzoll zwischen Gehorsam und Desertion, und die Bertinis dämmern der Befreiung im Verlies-Versteck in Alsterdorf entgegen. Der nüchterne Saal im Erdgeschoß ist Schauplatz für die viersprachige Verlesung der Kapitulationsurkunde, die immer wieder unterbrochen wird von Erinnerungen deutscher Schriftsteller an diese Zeit. Klaus Mann schildert in einem Brief fassungslos, wie ungerührt der greise Richard Strauß über die Greuel des “Dritten Reiches“ ist. Bertolt Brecht, Erich Kästner und Siegfried Lenz beschreiben ihre ersten Eindrücke.

Unterm Dach schließlich die Zeit der „Re-education“, des zaghaften Neuanfangs. Ida Ehre gründet in einem Kabarett ihr „Theater der Menschlichkeit“, wie sie es in ihren Memoiren nennt, die Briten organisieren ihre Besatzungszone und die Deutschen leugnen.

Texte, Dias, Musik und Videos wurden in dieser Produktion eingesetzt. Die einzelnen Elemente sind nicht neu, aber schlüssig montiert. Die Schauspielerinnen wie auch ihr männlicher Kollege trugen ihre Texte ohne falsches Pathos vor, und trotz der mehr als zwei Stunden, die das Ganze in Anspruch nahm, kam kein Gefühl der Zeitdehnung auf. Selbst die schwierige Choreographie mit den in drei Gruppen aufgeteilten Zuschauern im Keller klappte so reibungslos, wie man das hier unten erwarten konnte. Die geografische Nähe zu den geschilderten Ereignissen trug zu der dichten Atmosphäre ebenso bei wie die Anordnung der drei Themenkomplexe auf verschiedenen Ebenen.

Iris Schneider