: Rechte nicht „wie ungezogene Verwandte behandeln“
■ Lübeck nach dem Anschlag: keine heiße Spur / Kundgebungen gegen rechte Gewalt
Auch einen Tag nach dem erneuten Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge tappen die Ermittler noch im Dunkeln; es gebe „interessante Hinweise“, aber keine heiße Spur. Man ermittle zwar in alle Richtungen, doch die Polizei gehe wegen des vor der Tür zum Wohnbereich gefundenen Sprengsatzes von einem gezielten Brandanschlag rechter Gewalttäter aus.
100.000 Mark haben das Land Schleswig-Holstein und die Bundesanwaltschaft als Belohnung für die Ergreifung der Täter ausgesetzt, teilte die Bundesanwaltschaft gestern auf einer Pressekonferenz in Karlsruhe mit.
Die Lübecker Synagoge wurde seit dem Anschlag vor einem Jahr überwacht. Auch in der Tatnacht seien Beamte Streife gegangen, sagte Winfried Tabarelli, Leiter der Kriminaldirektion Schleswig-Hol-stein Süd. Vermutlich sind die Täter über ein benachbartes Museum zur Synagoge vorgedrungen.
„Die Tatsache, daß heute wieder Synagogen bewacht und jüdische Gottesdienste unter Polizeischutz stattfinden müssen, ist unerträglich“, sagte die schleswig-holsteinische Bündnisgrüne Antje Jansen gestern und forderte ein Verbot aller faschistischen, rassistischen und antisemitischen Organisationen und Parteien.
Rechtsradikale Gewalttäter nicht länger zu verharmlosen und „wie ungezogene Verwandte“ zu behandeln, davor warnte der Schriftsteller Ralph Giordano. Er forderte zum einen „staatliche Härte gegen die geistigen Urheber“ wie Franz Schönhuber und Gerhard Frey, sieht aber andererseits, daß Druck aus der Bevölkerung kommen müsse. „Die Gewalttäter dürfen nicht mehr sicher sein, ungeschoren davonzukommen.“
Druck gegen rechts machten gestern bereits 5000 Lübecker SchülerInnen mit einer Protestdemonstration, die mehrere Schülervertreter spontan organisiert hatten. Sie verurteilten die Brandstiftung als „feigen Mordversuch und Anschlag auf die Menschlichkeit“ und riefen dazu auf, „gemeinsam für eine bessere Welt zu kämpfen“.
„Keine Toleranz für Intoleranz“ forderte auch Michel Friedman vom Zentralrat der Juden in Deutschland am Sonntagabend vor rund 3000 Menschen auf dem Lübecker Markt, unter denen auch die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis und der Lübecker Bischof Ludwig Kohlwage waren. „Wir müssen dafür arbeiten, daß in unserer Gesellschaft alle Menschen in Würde leben können“, so Friedman.
Während einer Gedenkfeier zum 8. Mai gestern in Flensburg appellierte Heide Simonis außerdem an die Schleswig-HolsteinerInnen, sich nicht darauf zu verlassen, daß die Polizei alles richten werde. Jede(r) könne und müsse etwas tun, indem er wie ein Demokrat lebe, handle und rede.
Für die Hamburger Bürgerschaft sprach Bürgerschaftspräsidentin Ute Pape der Jüdischen Gemeinde ihr „tiefempfundenes Bedauern“ über den Brandanschlag aus.
Silke Mertins
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