■ Nachschlag: Frau Schröder in der Kulturbrauerei
Sie kam ums akademische Viertel verspätet, das Publikum beschäftigte sich solange still, die zahlreich vertretene Fotopresse positionierte sich, da saß sie plötzlich da, vorne an ihrem Vorlesetisch, zierlich und frisch. Das Gelände der Kulturbrauerei mache ihr einen interessanten Eindruck und wäre ein schöner Ort, um aus ihrem Buch vorzulesen, in dem sie versucht habe, alles unterzubringen, was ihr wichtig sei. „Au ja“, der Saal hielt einen Augenblick den Atem an, „mach' ihn fertig, den blöden Gerhard und sag', daß es ohne ihn viel schöner ist.“ Ein Lügenbold, wer nicht auf Offenbarungen solcher Art gehofft hatte. Der Titel des Buchs von Hiltrud Schröder, „Auf eigenen Füßen“, verführt natürlich dazu. Diese Worte habe sie aber von Cyrano de Bergerac übernommen, weil sie ihr so gut gefielen. Hiltrud Schröder las auch nichts über Gerhard und Doris, sondern über strahlenkranke Kinder aus der Gegend von Tschernobyl, für die sie sich in einer Stiftung einsetzt. Der 10. Jahrestag des Reaktorunfalls sei der Auslöser für das Buch gewesen. Im gepflegten Wochenendbeilagenstil und mit Spitzen gegen Umweltministerin Merkel erzählt sie von dem Elend Weißrußlands nach der Katastrophe. „Politisches Engagement ist für mich eine Selbstverständlichkeit“, sagt Hiltrud Schröder. Sie sieht gut aus und liest ihre Texte gekonnt vor, mit sanfter Stimme, aber nachdrücklich und oft in der Betonung apart versetzt, mit punktierter Note sozusagen. Gerhard Schröder kommt dann doch manchmal vor, nach der ländlichen Kindheitsidylle und den wilden Mädchenjahren in Hannover wird es politisch, Hiltrud und Gerhard Schröder kämpfen gemeinsam gegen Ernst Albrecht und für ein besseres Niedersachsen, aber Gerhard kriegt den Hals nicht voll und ist überhaupt ein Umfaller. „Nato-Doppelbeschluß“, sagt Hiltrud Schröder bloß. Sie bleibt eisern sachlich, aber nach der Lesung gingen einige Leute zu ihr hin und wünschten ihr „von Herzen alles Gute“. Da schaute sie plötzlich ganz weich: „Danke, kann ich brauchen.“ Katrin Schings
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen