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Das Ende der Wall-Street-Junkies

Vor zehn Jahren stürzten die Kurse an der New Yorker Börse um 22,6 Prozent ab. Doch es war kein Crash für die Wirtschaft, sondern für das Weltbild der Reaganomics  ■ Von Dietmar Bartz

Berlin (taz) – Später erzählten sich die Betroffenen die abenteuerlichsten Einzelheiten über den Verlauf dieses 19. Oktober 1987 an der Wall Street. Wie die Aktienkurse nachzugeben begannen, das DOT-Börsencomputersystem mit den Orders nicht nachkam und noch Kurse anzeigte, die nicht mehr gültig waren – das aber nicht bekanntgab. Zunächst merkte kaum ein Börsianer, daß er zu Preisen handelte, die viel niedriger lagen als er ahnte. Denn die mechanischen Drucker kamen nicht mit dem Ausdruck der Handelsbelege nach. Tausende von Geschäften verschwanden schlichtweg aus dem DOT-Speicher.

Crash, „Black Monday“, hieß es noch am gleichen Tag. Crash war auch das einzige Wort, das am nächsten Morgen auf dem Titelblatt der New York Daily News stand: in Weiß, denn ansonsten war die Seite komplett schwarz. Die Industrieaktien des Dow-Jones waren um 508 Punkte gefallen, der Index schloß mit 1.738,40 Punkten. Der Crash wischte innerhalb von ein paar Stunden Buchwerte von 350, manche sagen 500 Milliarden Dollar weg. Die 22,6 Prozent Tagesverluste lagen fast doppelt so hoch wie die 12,8 Prozent des 25. Oktober 1929, als die New Yorker Börse kollabierte und die Weltwirtschaftskrise auslöste.

Aber: 1987 blieb es nicht beim Crash. Schon am nächsten Tag stieg der Dow-Jones wieder um 108 Punkte. Es blieb das aus, was einen Börsenkrach ausmacht – die enge Wechselwirkung mit der Volkswirtschaft, in der sich Kursverfall der Aktien und Verfall der realen Unternehmen gegenseitig verstärken. Die Schockwellen liefen um die ganze Welt und verebbten. Frankfurt zum Beispiel kam 1987 glimpflich davon. Hätte es den Dax damals gegeben, er wäre nur um 9,4 Prozent gefallen.

Zum „Crash“ wurden die Vorgänge jenes 19. Oktober 1987 erst später wegen der Griffigkeit des Wortes, und weil erst im Nachhinein der eigentliche Kollaps deutlich wurde. Mit ihm gingen die wilden Jahre der Reaganomics zu Ende, die enthemmte Geldscheffelei seit Beginn der achtziger Jahre, als der Schauspieler Reagan aus Kalifornien und der Wirtschaftsprofessor Friedman aus Chicago den Staat zum Hauptgegner der Wirtschaft erklärten. Zwischen 1983 und 1987 war die Börse förmlich explodiert, der Finanzmarkt sollte alles richten, neue Finanzinstrumente erlaubten immer riskantere Transaktionen.

Blutjunge Händler verdienten ein Vermögen mit Geschäften, die ihre zehn Jahre älteren Kollegen nicht einmal mehr verstanden. Der Yuppie, der Young Urban Professional, wurde zum Phänotyp dieser Zeit, in Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ beschrieben und in einigen Filmen inszeniert.

Zum Sinnbild von Greed, der Gier nach Geld, wurde Michael Milken, der seinem Arbeitgeber, der Investmentbank Drexel Burnham Lambert, ein Jahresgehalt von einer Milliarde Mark abverlangte – und erhielt. Milken hatte das Konzept der „Junk Bonds“ entwickelt – „Schrottanleihen“. Mit hohen Zinsen sollten Anleger zum Kauf riskanter Wertpapiere verlockt werden. Der Durchbruch kam mit den LBOs, den Leveraged Buy-Outs. Mit ihnen drehte der Kasinokapitalismus endgültig durch: Wertpapierfirmen holten sich von sehr großen Anlegern Zusagen für den Kauf von Junk Bonds, mit deren Erlösen Übernahmeangebote für unterbewertete, börsennotierte Unternehmen lanciert wurden. Die Firmen wurden dann ausgeschlachtet, mit den Erlösen die Junk Bonds bezahlt und der Rest wieder an der Börse verkauft. Mit anderen Worten: Die Firmen wurden den Eigentümern mit viel Geld weggekauft, gigantisches Kapital mobilisiert, ohne einen Cent in die Produktionsmittel der Firmen zu stecken.

Zum größten LBO aller Zeiten geriet der Aufkauf des Konsumgüterherstellers RJR Nabisco („Camel“) für 24,5 Milliarden Dollar. Und ein kleiner Analyst wurde weltbekannt, als er einen Plan zur Übernahme von IBM entwickelte: für 156 Milliarden Dollar, aber ohne jedes Eigenkapital.

Doch auch die hohe Zeit der Junk Bonds endete kläglich, etwas zeitversetzt zum Börsencrash. Denn Michael Milken und sein Kumpel Ivan Boesky hatten noch zusätzlich mit Insider-Informationen Geld gemacht. Sie verloren alles und wanderten ins Gefängnis. Im Herbst 1989 brach auch der Junk Bond-Markt zusammen. Dennoch: Selbst die Pensionsfonds, die in den USA die Altersversorgung der kleinen Leute darstellen, haben wie die Börsen innerhalb von zwei Jahren ihre Verluste wettgemacht – vom Aufschwung der Kapitalanlagen bis zur Gegenwart ganz zu schweigen.

Wenn der „Schwarze Montag“ Folgen gehabt hat, blieben sie auf den unmittelbaren Börsensektor beschränkt, mit verbesserter Technik und weniger Abenteuerlichkeit bei der Spekulation. Die Theoretiker streiten bis heute darüber, ob die Zeit zwischen 1987 und 1989 ein Marktversagen des Finanzsektors gezeigt hat oder das genaue Gegenteil davon.

Jedenfalls: Die wilden Jahre sind vorbei, auch wenn ein Yuppie- Auslaufmodell weiterhin eine Bank ruinieren kann, wie es Nick Leeson 1995 mit Barings gemacht hat. Das liegt auch daran, daß sich die Relationen verschoben haben. Das Weltfinanzsystem ist ungleich bedeutender geworden als die New Yorker Börse, eine drohende Zahlungsunfähigkeit Mexikos ist zehnmal wichtiger als ein Kurssturz des Dow-Jones von 8.000 auf 7.000 oder 6.000 Punkte. Wer partout die Crash-Propheten bestätigt haben möchte: Auch der Dax könnte um 500 Punkte nachgeben. Die Frage ist nur, warum das schlimm ist, solange es nicht auf die reale Wirtschaft durchschlägt. In Deutschland spielen Aktien im privaten Vermögen eine untergeordnete Rolle, ebenso für die Kapitalversorgung der Unternehmen. Das ist zwar in den USA anders, aber dort haben sich die Finanzmärkte besonders weit von der realen Produktion entfernt. So daß vielleicht sogar ein neuer Schwarzer Montag herbeizuwünschen ist: damit die Aktienrenditen so weit in den Keller gehen, daß sich produktive Investitionen wieder lohnen.

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