■ Vorlauf: Haben oder nicht haben
„Pünktchen – Tagebuch einer Abtreibung“, 21.15 Uhr, B 1
Von „nur eine“ bis „zwei Dutzend“ reichen die Antworten auf die Frage, wie viele Abtreibungen sie schon erlebt haben. Sieben Frauen und vier Männer hat Babara Teufel in ihrem Dokumentarfilm „Pünktchen – Tagebuch einer Abtreibung“ erzählen lassen und dokumentiert parallel dazu ihre eigene Abtreibungsentscheidung.
Langsam tastet sich der Film voran von jenem folgenreichen Sommertag über den Schwangerschaftstest, die unsichere Frage „haben oder nicht haben“ bis zu den Besuchen beim Gynäkologen und dem Morgen „davor“. Das könnte schnell zu einer „Betroffenheits-Doku“ geraten. Daß der Film diesen Weg nicht geht, verdankt er seiner subtilen Erzählweise. Zum Beispiel sieht die Kamera plötzlich auf der Straße nur noch Kinder, kleine Kinder, große Kinder, immer und überall nur Kinder. So dokumentiert sich anrührend ein vertrackter Seelenzustand.
„Pünktchen“ zeichnet sich aber auch dadurch aus, daß die einzelnen Abschnitte von den Erzählungen der unterschiedlichsten Frauen und Männer umrahmt werden. Die Befragten haben alle keinen Namen, so wie man auch nur beiläufig erfährt, daß die Hauptperson zugleich die Macherin des Films ist. Das hat eine besondere Wirkung: Jede und jeder steht für ein persönliches Erlebnis, alle zusammen in ihrer Anonymität heben das Thema jedoch auf eine abstrakte Ebene. So bewahrt Babara Teufel ihren Film auch davor, in Selbstbespiegelung abzurutschen.
Die Unterschiedlichkeit der Befragten ist das Wesentliche dieses Films. Ob es die ältere Dame ist, der Vater eines 16jährigen Kindes oder eine Punkerin – die beschriebenen Gefühle reichen von Panik bis zur kühl-sachlichen Haltung, von Zuneigung bis Fremdheit.
Auch wenn heute keine Hollandfahrten oder riskante Do-it- yourself-Methoden mehr nötig sind, strafbar kann Abtreibung immer noch sein. Indem Babara Teufel jedoch die Komplexität und Individualität einer solchen Entscheidung thematisiert, führt sie die staatliche Einmischung ad absurdum. Schade, daß „Pünktchen“ nicht auch in Bayern zu sehen ist. Ania Mauruschat
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